Süddeutsche Zeitung

Leben in Bayern:Niederbayern ist mehr als Hubert Aiwanger

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Denn den verstehen auch in seiner Heimat viele nicht. Aber was macht die Gegend so besonders? Zweifellos der Tiefbau - und natürlich das Auto. Denn mit dem Lastenrad kommt man dort nicht weit.

Glosse von Franz Kotteder

Neulich wieder im Niederbayerischen unterwegs gewesen. Die Landschaft fast wie immer: ein bisschen rau, aber herzlich. Seltsam der häufig und plötzlich einsetzende Monsunregen, dann wieder Sonnenschein. Und kein Tag ohne Umleitung. Kaum hat man ein Ziel angepeilt, schon sieht man nach wenigen Kilometern das gelbe Schild mit der Nase, die ganz woanders hinzeigt als gedacht.

Und schon hat man 20 Kilometer mehr auf der Uhr als geplant, lernt neue stille Winkel kennen, die man sonst nie aufgesucht hätte. Niederbayerns Tiefbaufirmen jedenfalls dürften in der Pandemie kaum Einbußen erlitten haben, im Gegenteil: Da hat der Freistaat offenbar kräftig Geld in Infrastrukturprogramme gepumpt, die Umsätze bei Straßenbauern und Asphaltierern müssen explodiert sein. Bei den Tankstellen auch.

Haha, blöder Kalauer: Logisch, dass Niederbayern und Tiefbau zusammenpassen. Tatsächlich aber ist Niederbayern Autoland, ohne die Blechkiste ist man hier aufgeschmissen oder man braucht ganz besonders stramme Radlerwadl. Und während man an den zahlreichen Wahlplakaten vorbeifährt, kann man sich lebhaft vorstellen, wie laut die grünen Bundestagskandidaten hier geflucht haben, als plötzlich die Debatte über den Zuschuss für Lastenfahrräder aufkam.

Ein Lastenrad wünscht man sich unbedingt, wenn man von Hofkirchen nach Handlab oder Hengersberg will. Den Spott der eingebildeten Städter über den grünen Wahlkampfsong hingegen teilt man auf dem Land eher nicht so, weil: Besser trifft der Gesangsverein Harmonie die Töne auch nicht.

So hat jede Region Besonderheiten, die man anderswo schwer versteht. Man sollte Niederbayern aber deshalb nicht auf Hubert Aiwanger reduzieren. Denn den verstehen auch in seiner Heimat viele nicht und fragen sich, was er nur mit seinem depperten "Freedom Day" hat. Muss wohl mit der Wahl zu tun haben, dem Boris Johnson hat's ja auch geholfen.

Weniger leicht erklärt sich, warum es neuerdings keine FFP2-Masken mehr braucht, sondern jetzt wieder die medizinischen genügen. Hoffentlich liegt es nicht nur daran, dass irgendein bayerischer Importeur noch einen größeren Restposten davon auf Lager hat, den er gegen Zahlung einer saftigen Provision an einen CSU-Abgeordneten loswerden will.

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SZ vom 04.09.2021
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