Süddeutsche Zeitung

Bairische Sprache:Poet des Oberflächlichen

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Der Kabarettist Vogelmayer hält Bairisch-Kurse an Volkshochschulen. Viel mehr als Gaudi ist nicht zu erwarten. Statt Fachwissen offenbart er häufig Ahnungslosigkeit. Dabei geht es auch anders.

Von Hans Kratzer

Das Wort Arn habe er noch nie gehört, gesteht der Kabarettist Thomas Mayer, der sich selber Vogelmayer nennt, freimütig ein. Diese Wissenslücke wäre nicht der Rede wert. Das Problem ist nur, dass Mayer dieses Eingeständnis als Referent eines Dialektkurses in der Volkshochschule Vilsbiburg macht. Immerhin zählt Arn zu den bekanntesten Begriffen im Bairischen und erst recht in der Straubinger Gegend, aus der Vogelmayer stammt - umgeben vom Gäuboden, der einst als die Kornkammer Bayerns gepriesen wurde. Der Referent hätte prima punkten können, wenn er dem Kurs erklärt hätte, dass das Wort Arn nicht nur Reste des Althochdeutschen in sich trägt (arnôn, ernten), sondern auch jene Mühsal ausdrückt, welche die Ernte einst mit sich brachte.

Aber egal, Vogelmayer zieht zurzeit mit seinem Bairisch-Kurs von Volkshochschule zu Volkshochschule, wogegen nichts einzuwenden ist. Es wird zwar immer weniger Dialekt gesprochen, aber einer gewissen Beliebtheit erfreuen sich die Mundarten noch, weil ihr Klang oft derber und origineller ist als jener der Standardsprache. In gesprochener Form ist der Dialekt eher verpönt, aber zur Erheiterung und zur seligen Erinnerung an alte Zeiten wird er nach wie vor gerne bemüht. Kabarettisten wie Vogelmayer saugen Honig daraus, er betrachtet den Dialekt vor allem als eine Gaudi, Tiefgang stört da nur. Fast tausend Auftritte hat er hinter sich, er ist Initiator der Wahl zur Bayerischen Goaßmass-Königin, singen und Witze erzählen kann er auch, was auf einer Wirtshausbühne kein Schaden ist, in einer VHS aber durchaus. Immerhin bezahlt man, um aus einer Veranstaltung ein bissel schlauer rauszugehen.

Vogelmayer interpretiert seine Tätigkeit als Dozent des Kurses "Bairische Sprache" eher vom Remmidemmi als von der Wissenschaft her. Er setzt dabei auf eine temporeiche Powerpoint-Präsentation, bei der er im Vorlesemodus von der Grammatik über die Etymologie und Fragepronomina über alle Sparten des Bairischen seit der Antike hinwegfegt. Gut, dass er dazwischen einige Lieder zur Gitarre zum Besten gibt, zwecks Erholung und Gaudi.

Als der Kurs kurz beim Thema Diphthonge und Zwielaute verweilt, kommen bei einem lautmalerischen Dialog Erinnerungen an Loriots Stück über das Jodeldiplom auf. In der Gruppe weilt als einzige Nichtbayerin eine Frau aus Düsseldorf, man kann einiges von ihr lernen. Sie sagt, ihres Wissens nach gebe es in Bayern keine Umlaute, die mit ä, ö oder ü geschrieben werden. "Gibt's scho", wirft ein anderer Teilnehmer ein, danach fällt der Einwand: "In welchem Wort ist denn ein ö drin?" Vogelmayer sagt: "Keine Ahnung!", was während seines dreistündigen Vortrags auffallend oft zu hören ist. Auch zur Frage, warum man "oans, zwoa, drei" zählt und nicht "oans, zwoa, droa" fällt Vogelmayer nicht viel ein. Davon habe er auch schon gehört, sagt er, aber er wisse den Grund, ehrlich gesagt, nicht mehr. Tatsächlich liegt er in der Vokalbildung im Alt- und Mittelhochdeutschen begründet.

Muss ein Sprachdozent so etwas wissen, auch wenn es primär um die Gaudi geht? Vielleicht schon. Als sich der Vortragende langsam im Dickicht von Begriffen und Redensarten verirrt, als er das Verb graweln mit krabbeln übersetzt, es heißt aber schimmeln, da wirkt er phasenweise doch wie ein Poet des Oberflächlichen. Woher das Wort Brennsuppn komme, "weiß ich auch nicht". Osterbräuche, "da gibt's verschiedene, wos woaß i, Osteroar". Mancher Teilnehmer wundert sich dann doch, dass er in einer Volkshochschule sitzt.

Der Bund Bairische Sprache, der sich im Gegensatz zum eher volkstümlich ausgerichteten Konkurrenzverein Förderverein Bairische Sprache den Dialekten mehr mit wissenschaftlichem Eifer nähert, ärgert sich über die zunehmende Dialekttümelei. Er sieht die Gefahr, dass der Dialekt als Kommerzvehikel missbraucht und dessen eh schon geringes Ansehen dadurch weiter geschädigt werde. Ein Gaudi-Dialektkurs in der Volkshochschule hält der Sprachverein für eine Bankrotterklärung.

Die Teilnehmerin aus Düsseldorf wirft schließlich ein, in Bayern seien nur wenige Menschen stolz auf ihren Dialekt, "man entschuldigt sich hier immer". Vogelmayer entgegnet, Bayern sei so cool, da brauche es den Stolz nicht. Sie sagt: "Wir Rheinländer nehmen keine Rücksicht auf andere, wir sind stolz auf unsere Sprache."

Kabarettisten wie Vogelmayer setzen dagegen mehr auf die Vermarktung des Bayern-Klischees. Viele reiten auf dieser Welle mit. Dabei gibt es durchaus auch vorzügliche Unterhaltung zu diesem Thema. Der BR-Journalist Gerald Huber hält seit Jahren Vorträge über die Etymologie des Bairischen, wobei er stets ohne die Anmerkung "keine Ahnung" auskommt. Er sagt selber, dass mittlerweile "wahnsinnig viele unterwegs sind, um mit Themen wie Heimat und Dialekt Geld zu verdienen". Viele Menschen goutieren das aber selbst dann, wenn man ihnen eine dünne Suppe vorsetzt.

Die zurzeit populärste Theaterdarbietung zum Dialekt ist die Erfolgskomödie "Mei Fähr Lady" von Joseph Berlinger, unter Mitwirkung des Bairisch-Professors Ludwig Zehetner. Es ist ein fulminantes Bühnenstück, das nächste Woche die 300. Aufführung erlebt. Im Mittelpunkt steht der Bairisch-Professor Zehetner, der eine Chinesin, einen norddeutschen Manager und einen Rapper mit den Feinheiten des Bairischen vertraut macht. Zehetners lehrreiches Lexikon "Bairisches Deutsch" ist seit langer Zeit ein Bestseller.

Solche Ansprüche hegt Vogelmayer nicht. Trotzdem zählt er sich nach eigenen Worten zu den Marktführern unter den Bairisch-Vermittlern, auch wenn er seinen Anspruch als Lehrender weit unten ansetzt. Er habe, erzählt er, in seinem Leben ein einziges Buch gelesen und eines habe er geschrieben (Titel: "Gaudi zum Beruf machen"). Jetzt will er ein zweites Buch schreiben. Danach werde er behaupten können, er habe mehr Bücher geschrieben als gelesen. Dafür gebühre ihm "a boarische Watschn", sagt ein Teilnehmer, "denn die spürt man 42 Jahre", wie Vogelmayer im Kurs selber erklärt hat.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2019
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