Süddeutsche Zeitung

Friseure und Corona:Der Lockdown und seine ästhetischen Folgen

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In letzter Minute dirigieren Friseure noch ihre Kunden um oder müssen Termine absagen. Mancher reagiert darauf ziemlich ungehalten.

Von Sebastian Beck und Hans Kratzer, München

Christian Kaiser hat nur ein paar Minuten Zeit für ein Gespräch, dann muss er in seinen Salon nach München. Dort wartet eine stressige Aufgabe auf ihn und seine drei Mitarbeiter: Sie wollen noch so viele Kunden wie möglich bedienen, bevor am Mittwoch der verschärfte Lockdown in Kraft tritt - und damit auch eine Art Haarerlass der Staatsregierung, der an die Passionsspiele in Oberammergau erinnert: Dort dürfen die Darsteller mehr als ein Jahr lang nicht zum Friseur.

So lange wird die Schließung der Friseurgeschäfte zwar nicht dauern. Aber: "Dass wir am 10. Januar wieder aufmachen, ist utopisch", sagt Kaiser, der zugleich Landesinnungsmeister des Friseurhandwerks ist. Am Sonntagabend hat er die Kunden umdirigiert, normalerweise ist Montag ja Friseurfeiertag. Aber dennoch könne man in zwei Tagen nicht die Termine von zehn Tagen abarbeiten. "Das ist ein Ding der Unmöglichkeit", sagt Kaiser. Manche Friseurgeschäfte waren am Montag telefonisch nicht erreichbar. Zu hören war nur der Anrufbeantworter: "Leider sind alle Termine vergeben, wir bitten um Ihr Verständnis." Die Kunden wurden vertröstet: "Nach dem Lockdown vergeben wir gerne wieder Termine!"

Vor vielen Friseurgeschäften in Bayern bildeten sich bereits am Montagfrüh lange Schlangen vor den Eingängen. "Es ist wirklich schlimm", seufzte eine Friseurin aus dem niederbayerischen Markt Velden kurz am Telefon. Den ganzen Sonntag lang habe man Termine umgelegt und Kunden angerufen. Immerhin zeigten die meisten Verständnis. Es gab aber auch unangenehme Reaktionen. Christa Riepl (Kreishandwerkerschaft Landshut) wirkte am Telefon mitgenommen, weil manche Kunden auf eine Absage hin doch sehr böse reagierten. "Dann leckst mich auch künftig am Arsch, wenn du mich jetzt nicht drannimmst!" So klang bisweilen manche Kundschaft am Montagfrüh. "Dieser Druck ist für uns sehr belastend. Aber es tun alle ihr Möglichstes, mehr wie Schneiden kann man halt nicht", sagt Christa Riepl.

Die ästhetischen Folgen des Lockdowns sind nicht zu unterschätzen: Wer jetzt keinen Termin mehr ergattert, der muss sich die Haare noch mehrere Wochen wachsen lassen - oder zur Selbsthilfe greifen. Für Singles bietet sich der Scherapparat an, für Paare das gegenseitige Zurechtstutzen. Vor beiden Varianten rät Kaiser jedoch ab. Als er sein Geschäft nach dem ersten Lockdown im Frühjahr wieder öffnete, musste er erst einmal verunstaltete Frisuren reparieren: "Da gab es etliche, die es sich verhunzt haben."

Dass er jetzt wieder schließen muss, ärgert ihn nicht nur deshalb, weil seiner Meinung nach der Vorlauf zu kurz war. Kaiser verweist darauf, dass die Friseure strikte Hygieneauflagen befolgen, zu denen auch die Auflistung der Kundenadressen gehört. Gegen Partys und Demonstrationen sei der Staat nicht hart genug vorgegangen - mit entsprechenden Folgen.

Die Landesinnung befürchtet nun, dass jetzt die Schwarzarbeit boomen wird. Und bei solchen heimlichen Hausbesuchen gebe es dann gar keine Regeln. Ohnehin war das Jahr fürs Friseurhandwerk mehr als schlecht: Firmungen, Erstkommunion, Ostern, Bälle, Hochzeiten - alles Gründe für einen ordentlichen Haarschnitt, die aufgrund der Corona-Einschränkungen weitgehend entfielen. Immerhin: Haare wachsen nach, und irgendwann müssen sie dann ab.

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Quelle:
SZ vom 15.12.2020 / bas, hak
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