Süddeutsche Zeitung

Altstadtfest:Friedberger Zeit: Original bis ins Detail

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Bei der Friedberger Zeit feiert die Stadt ihre Rolle im 17. und 18. Jahrhundert. Dafür investieren die Bürger zuvor zahllose Arbeitsstunden und viel Herzblut.

Von Florian Fuchs, Friedberg

Sorbets gehen schon, aber bitte ohne Kiwis und Bananen, die gab es im 18. Jahrhundert nicht. Bowlen, Spritz und Hugo sind streng verboten, Kaugummis sowieso. Gefärbtes Zuckerwerk dagegen, kein Problem. Dampfnudeln, Rohrnudeln, Hefezopf und Baumkuchen, saure Knödel, mariniertes Ochsenfleisch, Sauerkraut und Bohnen, alles historisch nicht zu beanstanden. Dagegen Gulaschsuppe und Tomaten: ebenfalls verboten auf der Friedberger Zeit. So ist es festgehalten in den "Richtlinien für Gastronomen", die dort mit ihren Buden von Freitag an wieder für zehn Tage vertreten sein werden. So viel Ordnung muss schon sein.

Es ist ein besonderes Altstadtfest, das die Friedberger alle drei Jahre feiern. Landauf, landab veranstalten Städte und Gemeinden Historienfeste, viele berufen sich schwammig aufs Mittelalter, und so schwammig geht es dann auch zu: Da gibt es Speisen mit Fantasienamen wie Ratsherrentopf oder Bürgerpfanne, die irgendwie nach Ritterzeit klingen - und in Friedberg ebenfalls auf der Verbotsliste stehen. Zur Unterhaltung hauen sich schwere Kerle in schweren Rüstungen Schwerter und Morgensterne um die Ohren. In Friedberg wollten sie es anders machen, als sie ihr Fest 1989, zur 725-Jahr-Feier der Stadtgründung, ins Leben riefen: Die Friedberger Zeit ist eine Reise ins 17. und 18. Jahrhundert, in den Barock, in der die Stadt eine Blüte erlebte und vor allem die Uhrmacher bis ins ferne Ausland für ihr Handwerk berühmt waren. Es gibt kaum ein anderes Fest in Bayern, das sich auf diese Epoche beruft. Und sie verlangen hier strikte Historientreue, nicht nur bei den Speisen.

In der Stoffstube zum Beispiel liegen genaue Anweisungen aus, wie Gewänder aus der Zeit zu schneidern sind und welche Materialien verwendet werden dürfen. "Die Dienstmagd geht dieses Jahr ganz gut", sagt Angela Jahnke, die hier gemeinsam mit Gabriele Gail die Kunden berät. Es gibt noch andere Gewänder, die historisch belegt sind und die man nachschneidern kann, den Wirt zum Beispiel oder den Kaufmann, die Bürgerin und die Handwerksgattin. In den Monaten vor dem Fest richtet die Stadt die Stoffstube extra ein, damit möglichst viele Friedberger und gerne auch Auswärtige historisch eingekleidet zum Fest gehen. Das kommt gut an: Mehr als 10 000 Gewänder sind seit Gründung der Friedberger Zeit schon angefertigt worden, erzählt Veranstaltungsleiter Frank Büschel. "Wer da in normaler Kleidung kommt, fällt auf."

150 000 Besucher zählt das Fest alle drei Jahre. 30 Wirte bieten in ihren Buden ihre Speisen an, Handwerker stellen an 80 Ständen ihr Können zur Schau, 60 Musik- und Gauklergruppen treten auf an den zehn Tagen vom 12. bis 21. Juli. Die Vorbereitungen dauern Monate, die meisten Vereine und andere Gruppen aus der Stadt sind beteiligt, auch hier wieder mit strengen Vorgaben: Alle Schausteller sollen in ihrem Berufsstand bleiben, der Bäcker verkauft also sein Backwerk, die Handwerker bleiben Handwerker, der Technische Hilfsdienst stellt die Stadtwache und die Leute von der Wasserwacht richten eine Hütte ein, in der sie als Bader die Leute waschen.

Armin Zimmermann steht in einer Scheune der Wasserwacht und zeigt auf Holzlatten, alte Fässer und Holzwagen. "1800 Arbeitsstunden investieren wir alle drei Jahre in das Fest", sagt der Ehrenamtliche von der Wasserwacht. "Es ist schon viel Arbeit, aber es macht auch Riesenspaß." Die Kunden behandeln sie, wie die Bader es im 18. Jahrhundert gemacht haben. Erst geht es in ein kaltes Becken, dann in den wohltemperierten Zuber. Die Leute werden geschrubbt, kriegen Maniküre und Pediküre, da kann es dann schon mal vorkommen, dass der Bader Moos zwischen den Zehen hervorholt oder einen faulen Zahn zieht. Bei aller Historientreue, sie treiben auch ihre Scherze mit den Kunden, aber sie nehmen es auch ernst: Ein Masseur zeigt ihnen vor dem Fest die richtigen Griffe. "Nicht dass wir was kaputt machen bei einem", sagt Zimmermann. Und sie setzen auch Blutegel an, dafür haben sie extra einen Arzt in der Hütte, ohne ärztliche Begleitung wäre das sonst gar nicht erlaubt.

Der Bürgermeister wird kopfüber ins kalte Wasser getunkt

Geld wollen sie damit nicht verdienen, sagt Zimmermann. Sie haben einfach Freude an der Sache, schon allein an den Gildetreffen zuvor und am Austausch mit den anderen Gruppen auf dem Fest selbst. Da wird es spät jeden Tag, sagt auch Christine Croseck von der Wasserwacht. "Der Heimweg kann lang sein, allein, bis man an den Fischern vorbeikommt." Für Roland Eichmann, Erster Bürgermeister der Stadt, macht neben der Historientreue genau das den Charme aus. "Friedberg wächst durch das Fest zusammen", sagt er. Die Stadt befindet sich zehn Tage im Ausnahmezustand, alle begegnen sich in historischen Gewändern. "Da ist es dann egal, wer aus welchem Ortsteil kommt, da sind alle Friedberger."

Der Bürgermeister steuert überdies seinen Teil zum Zusammenhalt bei, nicht nur durch Festreden, wie das bei Bürgermeistern so üblich ist. Eichmann trägt auch insofern zur Stimmung bei, als er ziemlich souverän die Bäckertaufe über sich ergehen lässt, der sich nicht nur der Rathauschef bei der Friedberger Zeit traditionell stellen muss, sondern auch andere Honoratioren. An allen Leuten vorbei wird er durch die Altstadt gekarrt und schließlich kopfüber in einen großen Bottich eiskalten Wassers getunkt, als Buße für all seine Missetaten. Anschließend gibt es dann ein warmes Bad bei den Badern.

Ein Hingucker bei all den Buden und Schaustellern sind natürlich Uhrmacher wie Dieter Sanders. Für diese Handwerkskunst war Friedberg berühmt, im Schloss Wittelsbach, das über der Stadt thront, sind im frisch renoviertem Museum heute kostbare Uhren aus dieser Epoche ausgestellt. Bis nach Konstantinopel sollen die Friedberger Uhrmacher ihre Stücke verkauft haben. Neben all den anderen Handwerkern, vom Papierschöpfer bis zum Münzpräger und Seegrasschuhmacher, zeigt Sanders an seinem Stand, wie Uhrmacher damals gearbeitet haben. Von Sanders stammt auch dieses Jahr wieder die Idee zu einem kleinen Mitbringsel, das er extra fürs Fest anfertigt: Es ist ein Schloss mit dem Stadtwappen darauf, vor Jahren hat er einmal kleine Bierzähler angefertigt, damit jeder weiß, wie viel er schon intus hat.

Das historisch einwandfrei naturtrübe Bier, das ausgeschenkt wird, geht auch immer gut weg. Bürgermeister Eichmann ist stolz, dass sie bei ihrem Altstadtfest in Friedberg trotzdem noch nie Probleme mit der Sicherheit hatten, es geht immer friedlich zu. Das Schlimmste, was mal passiert ist, erinnert er sich, waren ein paar Jugendliche, die am Marienplatz halb nackt in den Brunnen gesprungen sind. Wahrscheinlich war das aber schon richtig so: Das werden die pubertären Burschen im 18. Jahrhundert auch nicht anders gemacht haben.

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Quelle:
SZ vom 09.07.2019
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