Süddeutsche Zeitung

Ankündigung der Staatsregierung:"Wir benötigen eine originelle Kulturstrategie"

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Die Reaktionen auf das Hilfs­programm aus der Kunstszene sind vorsichtig optimistisch bis zurück­haltend. Vielen fehlen konkrete Pläne.

Matthias Helwig, Kinobetreiber und Leiter des Fünf Seen Filmfestivals: "Auf jeden Fall tut sich endlich was, wenn auch, zumindest gefühlt, zu spät, nachdem wir acht Wochen nichts gehört haben. Aber daher überwiegt heute meine Dankbarkeit. Die Hygienemaßnahmen, die wir in den Kinos umsetzen sollen, sind allerdings immer noch nicht ausdiskutiert. Ich würde mir einen klaren Fahrplan mit konkreten Vorgaben wünschen."

Thomas E. Bauer, Sänger und Intendant Konzerthaus Blaibach: "Die angekündigten Maßnahmen des Freistaats sind ein deutlicher Paradigmenwechsel und ein Bekenntnis zum Kulturstaat Bayern. Diese Prioritätsebene wäre vor wenigen Jahren noch nicht vorstellbar gewesen. Neben den akuten Manövern sind jetzt gute Ideen der kreativen Branche gefragt. Der Vorgang sollte ein Geben und Nehmen sein. Noch wichtiger ist aus meiner Sicht, dass einige Offenheit dafür entstanden ist, wie der Sektor Kultur in der Fläche Bayerns weiterentwickelt und krisenfest gemacht werden kann. Dafür benötigen wir eine originelle Kulturstrategie für unser Bundesland."

Sebastian Winkler, Schauspieler: "Ich bin vorsichtig optimistisch und begrüße es, dass die Voraussetzung Künstlersozialkasse nicht mehr gegeben ist. Denn als Schauspieler arbeiten wir "weisungsgebunden" und werden meist sozialversicherungspflichtig abgerechnet - Ausschlusskriterien für die KSK. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Lebens- und Arbeitsrealitäten von uns Schauspielern genauer betrachtet werden. Wir leben das Leben eines Solo-Selbständigen mit allen Risiken, erfüllen alle Pflichten eines Festangestellten und fallen zumindest bisher in der Not durch sämtliche Raster. Ich war erstaunt, wie viel Unkenntnis darüber in allen Fraktionen, vor allem bei den Kunstbeauftragten, herrscht. Wenn nun tatsächlich verstanden wurde, dann ist dies ein wichtiger Schritt."

Carsten Gerhard, künstlerischer Leiter Europäische Wochen Passau: "Wir freuen uns, dass der Freistaat zu seinen finanziellen Zusagen steht und die Kultur als systemrelevant anerkennt, ein Gefühl, das man in den vergangenen Wochen ja nicht unbedingt hatte. Was weiter fehlt, sind die konkreten Aussagen, welche Bedingungen ein Konzert erfüllen muss, um genehmigt zu werden. Unser Ersatzspielplan ist mit 1,50 Meter Abstand zwischen den Gästen gerechnet. Wenn es zwei Meter sein müssen, ist schnell alles wieder Makulatur."

Till Hofmann, Betreiber diverser Kleinkunstbühnen wie Milla und Lustspielhaus in München: "Ich finde gut, dass sie mit dem erweiterten Rettungsschirm reagiert haben auf das Echo aus der Kulturszene, die zugegebenermaßen nicht ganz einfach ist. Und wenn etwas von der neuen Spielstättenförderung rüberkommt, ist das auch nicht verkehrt, auch wenn es oft wohl nicht einmal die Pacht deckt. Wichtig und richtig ist, dass es mit den ersten Veranstaltungen nach Pfingsten losgehen kann, erst mal probeweise und outdoor. Ich habe schon meine mobile Bühne getestet, darauf könnten zum Beispiel auf dem Max-Josephs-Platz Kindertheater, Lesungen, Kabarette und Konzerte laufen. Die Stadt sollte dann eine feste Infrastruktur, etwa einen Toilettenwagen, stellen."

Susanne Reng, künstlerische Leiterin des Jungen Theaters Augsburg: "Wir haben 57 freie Mitarbeiterinnen, daher freut es mich, dass nun auch Künstlerinnen, die bisher durch alle Netze gefallen sind, berücksichtigt werden. Sehr gut auch, dass über Programme nachgedacht wird, Kinder und Jugendliche kulturell zu fördern. Etwa dadurch, mit der Hälfte der Schüler, die gerade nicht im Unterricht ist, ins Theater zu gehen. In unserer hauseigenen Bühne wäre wegen der Abstandsregeln zwar nur für sechs Kinder Platz, aber im Kulturhaus Abraxas schon für eine ganze Klasse. Schulen und Turnhallen dürfen wir als Externe zurzeit allerdings gar nicht betreten."

Bernd Schweinar, Geschäftsführer des Verbands für Popkultur Bayern: "Aus den Worten der Pressekonferenz ist eine langfristige Perspektivlösung für unsubventionierte Livekulturbühnen nicht herauszuhören, wie wir es mit unserem Appell Hunderter Künstler und Kulturdienstleister gefordert haben. Die Durchführung von Indoor-Konzerten ist unter Einhaltung der Distanzvorgaben in keiner Weise kostendeckend, was das finanzielle Dilemma noch vergrößert. Rockkonzerte mit ihren besonderen Herausforderungen wird es wohl erst ganz zum Schluss geben."

Niels Klaunick, Vorstand im Netzwerk Freie Szene München: "Nach neun Wochen Verdienstausfall und keinerlei Hilfen für einen großen Teil der freien darstellenden Künstler, aber sagenhaften Versprechungen und einem Soforthilfeprogramm, das für viele weder sofort kommt, noch Hilfe bietet, fällt es schwer, auf Unterstützung zu hoffen, bevor diese sich nicht auf dem Konto manifestiert. Auf Wunder zu bauen gehörte aber schon vor Corona zu unserem Beruf."

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SZ vom 15.05.2020 / clu, srh, zir
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