Süddeutsche Zeitung

Ausgrabung in Augsburg:Die Schätze der ersten Römer

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Archäologen holen 400 Kilo Fundstücke aus dem Kies einer Baustelle. Die Datierung der Funde löst einen alten Wettstreit auf - und werden die Diskussion um ein römisches Museum neu befeuern.

Von Florian Fuchs, Augsburg

Natürlich sind das hier alles besondere Funde. Seit mehr als 100 Jahren sind Archäologen in Augsburg nicht an solch früh datierte Fundstücke aus der Römerzeit herangekommen. Schreibgriffel, Klingel, Münzen, Waffen, Tonscherben, Glas, selbst Austernschalen, aus Italien mit dem Ochsenkarren über die Alpen nach Bayern gekarrt - mehr als 400 Kilogramm Römerfunde haben die Augsburger Stadtarchäologen aus dem Kies auf einer Baustelle im Stadtteil Oberhausen geholt.

Das Lieblingsstück von Sebastian Gairhos, Leiter der Stadtarchäologie, aber ist eine kleine Fibel. Die Gewandnadel besteht aus Silber, mit eingearbeitetem Gold und fein gestalteten Insekten. "Das muss einer Frau gehört haben", sagt Gairhos - einer der ersten in einer Römersiedlung auf dem Boden des heutigen Augsburg.

"Elektrisierend" und "außerordentlich" nennt Kulturreferent Jürgen Enninger die Ausgrabungsstücke, die die Stadt am Dienstag erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Sie verraten den Archäologen viel über das Leben der damaligen Zeit, vor allem aber ist die Datierung interessant. Die Fundstücke, vor allem die Münzen und die Keramik, erlauben den Experten Rückschlüsse darauf, wann in Augsburg tatsächlich erstmals römisches Leben stattfand. Nach derzeitigem Stand der Forschung, erläutert Gairhos, ist der Stützpunkt im heutigen Stadtgebiet acht bis fünf vor Christus errichtet worden - und damit nun gesichert der älteste Römerstandort auf heutigem bayerischen Boden.

Darüber gab es lange Zeit Zweifel. Zwar hatten Archäologen bereits im Jahr 1913 Fundstücke aus dem Boden geholt, die auf eine Gründung des militärischen Stützpunkts vor Christi Geburt schließen ließen. "Aber damals unterblieb die Dokumentation der Funde", sagt Gairhos. Weshalb lange nicht klar war, ob Kempten als Stützpunkt nicht doch bereits zuvor gebaut worden war. Als richtige Stadt ist der Ort im Allgäu wohl trotzdem noch älter als Augsburg, wobei eine solche Einordnungen immer eine Frage der Definition ist. Wohingegen die Funde vom ersten Militärstützpunkt nun eine eindeutige Sprache sprechen.

Die Forscher konnten deshalb auf dem Areal arbeiten, weil dort Wohnbebauung entsteht. Und alle Beteiligten, wie Gairhos betont, die Grabungen unterstützten. So sind auch mehr als 800 Münzen ans Licht gekommen, teils in zwei Hälften gebrochen. "Offenbar war das Kleingeld knapp", sagt Gairhos, da behalfen sich die Römer auf einfache Art. Die Funde zeigen, wie leistungsfähig das römische Reich zur Zeit von Kaiser Augustus war. Das gesammelte Geschirr stammt aus Italien und Südfrankreich, Münzen auch aus Spanien. Die ersten Bewohner des Stützpunkts, die Soldaten, kamen nicht nur aus Italien, sondern auch aus Spanien, Nordafrika und Südfrankreich. Dort lebende Frauen stammten aus der heutigen Schweiz.

15 vor Christus hatten Drusus und Tiberius, Stiefsöhne von Augustus, das Alpenvorland erobert, Schlachten sind überliefert am Bodensee und in Oberammergau. Mit der römischen Eroberung erfolgte ein Zivilisationswandel, wie Kulturreferent Enninger es ausdrückt: Schriftwesen, Dezimalsystem, Kalender, Geldwesen - bis heute prägend für unsere Kultur. "Und identitätsstiftend für Augsburg", sagt Enninger. "Die Funde aus dem Militärstützpunkt Oberhausen machen Gründung und Stadtgeschichte wieder mit Händen greifbar."

Dabei fand der Militärstützpunkt, auf dessen Areal die neuen Ausgrabungen stattfanden, zehn bis 15 nach Christus ein jähes Ende. Der Grund ist nicht gesichert, die Forscher vermuten ein Hochwasser. Äste aus Schwemmholz werden nun radiokarbondatiert - dies soll Aufklärung bringen. Die Römer jedenfalls bauten in der Nähe ein Kastell, in der heutigen Altstadt, so entwickelte sich das Stadtgebiet, damals Augusta Vindelicum genannt. Die Funde sind bislang nur teilweise ausgewertet, Gairhos zeigt am Dienstag ein Wagenrad, das korrodiert und noch mit Steinen behaftet ist. Im 2017 fertig gestellten archäologischen Zentraldepot finden die Archäologen optimale Bedingungen, um die Funde zu dokumentieren, aufzubereiten und aufzubewahren, etwa in einer eigens dafür vorgesehenen Kühlkammer.

Dass Augsburg die Funde Museumsbesuchern zugänglich macht, gestaltet sich dagegen schwieriger. Seit Jahren gibt es Diskussionen, weil das frühere Römische Museum seit vielen Jahren heimatlos ist - und Augsburg das Geld fehlt, um ein neues zu bauen. Lediglich eine kleine Ausstellung ist für Besucher vorgesehen, die so nur einen Bruchteil der Augsburger Römerfunde sehen können. Die neuen Fundstücke, dessen ist sich der Kulturreferent bewusst, werden die Diskussion um ein römisches Museum neu befeuern.

Er verstehe sich "als Anwalt" davon, die römische Geschichte der Stadt hinreichend darzustellen, sagt Enninger. Sie solle der breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Finanzen des chronisch klammen Augsburg wird aber auch der Kulturreferent nicht so bald sanieren können, weshalb er auf die immer bedeutender werdenden Möglichkeiten der "virtual reality" verweist: Zumindest digital sollen Römerfans die Ausstellungstücke also zu sehen bekommen - allerdings müssen sie zuvor erst einmal fertig untersucht werden.

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SZ vom 09.06.2021
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