Süddeutsche Zeitung

Größtes archäologisches Freilandmuseum:Ganz tief drin im Mittelalter

Lesezeit: 3 min

Im Geschichtspark Bärnau-Tachov können Besucher das Leben und Arbeiten der Epoche sehr realitätsnah nachvollziehen. Zudem fördert der Betreiber das Wiederentdecken der deutsch-tschechischen Geschichte.

Von Hans Kratzer, Bärnau

Es gibt in Bayern so manches Dorf mit 3000 Einwohnern, es gibt aber auch Städte in dieser Größenordnung, beispielsweise das nahe der Grenze zu Tschechien gelegene Bärnau, eine Zierde des Landkreises Tirschenreuth. Immerhin reichen Bärnaus Stadtrechte bis in das Jahr 1343 zurück, weshalb es sich zu den ältesten Städten in Bayern zählen darf. Überdies hat Bärnau in seiner langen Geschichte so gut wie keine Kalamität ausgelassen. Pestepidemien, Stadtbrände, die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges, später die Stilllegung der lokalen Bahnlinie und der Untergang der Knopfindustrie, einhergehend mit dem Abschmelzen der Einwohnerzahl. Bärnau ist geradezu prädestiniert dafür, von den Härten und Tücken der Vergangenheit Kunde zu geben.

Tatsächlich gelingt die Annäherung ans Mittelalter in Bärnau auf vortreffliche Weise. Ganz allgemein droht ja stets die Gefahr, dass durch den momentan nur durch Corona unterbrochenen Mittelalter-Boom alles bunt durcheinandergeht und ein falsches Bild der Vergangenheit entsteht. Märkte und Bücher, Filme und Serien zu diesem Thema sind kaum noch zu überblicken. Doch nur selten kommt die moderne Medien- und Eventkultur der historischen Realität so nahe wie im seit gut einem Jahrzehnt bestehenden Geschichtspark und im ArchaeoCentrum Bayern-Böhmen in Bärnau. Hier erleben die Besucher ziemlich realitätsgetreu Alltagsszenerien aus der Zeit vom 9. bis zum 14. Jahrhundert. Seit dem Jahr 2011 sind im Geschichtspark Bärnau-Tachov unter anderem 30 Gebäude originalgetreu auf der Basis von archäologischen Funden gebaut worden.

Darüber hinaus geben Darsteller in rekonstruierter historischer Kleidung Einblicke in versunkene Zeiten. Die Besucher können daran Anteil nehmen, wie sie in Gestalt der Vorfahren kochen, bauen, ernten und ihr Handwerk betreiben. Schnell wird dabei ersichtlich, wie hart und fordernd jene Zeit war. Es wird auch deutlich, wie fortschrittlich viele Arbeitstechniken waren. Spannend ist das Projekt Geschichtspark zudem aus einem anderen Grund. Das mittlerweile größte mittelalterliche archäologische Freilandmuseum in Deutschland wird auf ehrenamtlicher Basis von einem Verein betrieben, der sich "Via Carolina - Goldene Straße" nennt und sich mit seinen Projekten für das Wiederentdecken der gemeinsamen deutsch-tschechischen Geschichte in der Region einsetzt. Dabei wird er von einem Verein aus der tschechischen Nachbarstadt Tachov unterstützt. Ob Museumspädagogik, Projektleitung oder Handwerker - das Team in Bärnau ist paritätisch deutsch-tschechisch besetzt. Damit hat dieses Projekt ein Alleinstellungsmerkmal und eine Pilotfunktion im bayerisch-tschechischen Grenzraum.

"Viele sehen ja nur den Geschichtspark", sagt Projektleiterin Ilona Hunsperger, "dabei bieten wir noch so viel mehr." Der Verein hat soeben eine Imagebroschüre aufgelegt, "damit die Besucher sehen, was hier eigentlich alles geboten wird". In das Vorzeigeprojekt ArchaeoCentrum Bayern-Böhmen sind auch die Universitäten Bamberg, Pilsen und Prag eingebunden. Studenten sollen hier Teile ihres Studiums absolvieren und auf diese Weise den gemeinsamen Kulturraum mitgestalten. Zum anderen wird das historische Handwerk erforscht und vor dem Vergessen bewahrt, und zwar auf spektakuläre Art.

Direkt am Rande des Geschichtsparks entsteht seit 2018 eine mittelalterliche Burganlage, eine Art königlicher Reisestation. Auf der Schaubaustelle arbeitet ein Team aus festangestellten Handwerksmeistern, das den Bau in den kommenden 20 Jahren allein mit mittelalterlichen Techniken und Werkzeugen vollenden will. Hier können die Besucher zusehen, wie damals Kalk gebrannt und Eisen verhüttet wurde, die Steine werden von Hand mit Hammer und Meißel gespalten und aus Stämmen werden nur mithilfe einer Axt Balken gehauen. Für das Heben der Lasten wurde ein Holzkran nach altem Vorbild gebaut. "Damit wird am ehemaligen Eisernen Vorhang die zweitgrößte Mittelalterbaustelle in Europa betrieben", sagt Alfred Wolf, der Vorsitzende des Vereins Via Carolina.

Leider, sagt Wolf, sei der Kampf um öffentliche Wahrnehmung in der Region schwierig, "die Bedeutung und die Philosophie unseres Tuns muss erst noch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden." Die Coronakrise erschwert dabei vieles. "Als Verein werden wir nicht institutionell gefördert, da ist es nicht leicht, finanziell über die Runden zu kommen", sagt Ilona Hunsperger. Jetzt in den Ferien kämen zwar wieder Besucher, aber bei Weitem nicht mehr so viele wie früher. Die Reisebusse und die Schulklassen fehlen sehr.

Informationen zu dem Projekt im Internet: www.geschichtspark.de; www.archaeocentrum.eu

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Quelle:
SZ vom 19.08.2020
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