Süddeutsche Zeitung

Landtag:Das Gespenst der Autonomie

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Die geplante Reform des bayerischen Hochschulgesetzes stößt auf Skepsis - im Wissenschaftsausschuss werden Zweifel laut, ob sie verfassungsgemäß ist.

Von Anna Günther, München

Einen prächtigeren Ort hätten sich die Lichtgestalten am Mittwoch im Maximilianeum nicht aussuchen können: Der Wissenschaftsausschuss tagte Corona-bedingt im Senatssaal des Landtags, Experten waren geladen, um über ihre Ideen zur geplanten Reform des bayerischen Hochschulgesetzes zu sprechen. Der Abstand war gesichert, aber den größten Raum unter Wilhelm von Kaulbachs wandgroßer "Seeschlacht bei Salamis" nahmen das "Schreckgespenst" und der "weiße Elefant" ein. Beide hängen zusammen: Der "weiße Elefant", wie Verena Osgyan (Grüne) das Eckpunktepapier der Staatsregierung nannte, löst bei Mitarbeitern an den 17 staatlichen Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HaW) und neun Universitäten große Ängste vor möglichen Veränderungen aus - ohne wirklich zu wissen, was auf sie zukommt.

Dass Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den großen Wurf will, ist bekannt. Bayerns Hochschulen sollen Weltspitze werden und so frei sein wie seit Jahrzehnten nicht. Offiziell gibt es aber keinen Gesetzentwurf und offiziell liegen weder Verbänden noch Abgeordneten die Eckpunkte vor. Die Sachverständigen sollten mehr als 70 Fragen zur Zukunft der Hochschulen beantworten, faktisch bezogen sich viele Gutachter auf die Eckpunkte.

Klagen über Intransparenz ließ der Ausschussvorsitzende Robert Brannekämper (CSU) nicht gelten und nannte die Beschwerden der Opposition "drollig". Dieselben Personen würden sich aufregen, wenn nun offiziell ein Eckpunktepapier vorliege, sagte er. "Ich finde es in Ordnung, dass heute keines vorliegt, so können wir unbefangen reden." Osgyan entgegnete: "Themen wie Körperschaften einzuführen und an die Gremienstruktur ranzugehen, die stehen im Raum." Sie plädierte für den Beginn eines offenen Prozesses. Vertreter des Wissenschaftsministeriums waren anwesend, aber wurden aus Zeitmangel nicht befragt.

Ganz so unbefangen wie Brannekämper sich das vorstellte, war die Diskussion dann nicht. Nahezu alle Redebeiträge bezogen sich auf Stichworte aus besagtem Eckpunktepapier, das seit Wochen kursiert. Darin ist von Entfesselung die Rede, von maximaler Verschlankung und größtmöglicher Freiheit für die Hochschulen. Außerdem ist die Organisation grundsätzlich in Frage gestellt: Staatliche Hochschulen sollen eigenständige Körperschaften werden, also ihr Geld und Personal selbst verwalten.

Der Staat hätte nur noch die rechtliche Kontrollfunktion inne. Weil Gremienstrukturen nicht länger vorgeschrieben sein sollen, befürchten Skeptiker ein Durchregieren der Hochschul-Präsidenten. Diese Ideen nannte Max-Emanuel Geis, Erlanger Hochschulrechtler und Landeschef des Deutschen Hochschulverbandes, einen "Frontalangriff auf geltendes Verfassungsrecht". Zwar habe das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber in Urteilen zu Reformen anderer Bundesländer Freiheit gelassen, aber ein "reines Managerprinzip" stehe im Widerspruch dazu. Die Verfassungsrichter schreiben die Beteiligung und Stimmenmehrheit der Professoren bei Fragen zu Forschung und Lehre vor.

Beim sachlichen Wunschkonzert der Hochschulfamilie kamen mehrere Ideen auf, wie weniger Bürokratie, straffere Organisation und die Beteiligung aller Gruppen umgesetzt werden könnten: In Thüringen gibt es etwa eine Viertelparität im Senat. Bei Fragen von Forschung und Lehre werden die Professoren grundgesetzkonform stärker gewichtet, sonst haben Professoren, Studenten, wissenschaftliche und andere Mitarbeiter gleich viele Stimmen. Mehr Dynamik, Autonomie und Differenzierung zwischen den Universitäten wünschte sich auch Sabine Doering-Manteuffel, Sprecherin der bayerischen Unis und Augsburgs Unipräsidentin. Aber damit die Hochschulen sich im Selbstfindungsprozess nicht auf Jahre lähmen, statt etwa Söders Hightech-Agenda voranzubringen, soll der Staat eine Anforderungsliste und einen Rahmen vorgeben, in dem sich jede Hochschule bewegen könne. Doering-Manteuffel plädierte zudem für eine "Optionslösung", keine Gleichmacherei aller Unis. Sie sollen sich aussuchen können, ob sie Stiftungshochschule oder Körperschaft werden wollen - oder ob sie eine staatliche Institution bleiben wollen.

Walter Schober, Sprecher der HaW und Chef der TH Ingolstadt, plädierte für ein Gesetz, in dem die neuen Aufgaben der Hochschulen definiert werden und diese sich stärker "Wirtschaft und Gesellschaft öffnen". Schobers Ideen zur Stärkung der Wirtschaft durch die Hochschulen widersprach Eduard Meusel von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der sich um geisteswissenschaftliche Fächer sorgte.

Die Sprecherin der Gleichstellungsbeauftragten an Bayerns Hochschulen, Margit Weber, forderte echte Parität, die im Gesetz verankert sein müsse. Es könne nicht sein, dass Bayern seit Jahren Schlusslicht in Deutschland sei, sagte Weber. Die Pointe nach dreineinhalb Stunden Debatte setzte Hochschulrechtsprofessor Geis: Er wollte einen logischen Fehler im "ominösen Eckpunktepapier" entdeckt haben - und stellte sein Exemplar kurzerhand dem Ausschuss zu Verfügung - "als Zeichen des Wissenstransfers von der Wissenschaft zur Legislative".

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SZ vom 15.10.2020
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