Süddeutsche Zeitung

Architektur:Fabelhaftes Fürth

Lesezeit: 3 Min.

Unter den bescheidenen Franken sind die Fürther die bescheidensten. Deswegen weiß kaum einer, dass ihre Stadt 2000 Baudenkmäler zählt. Tatsächlich strahlt dort die Belle Époque wie nirgendwo in Bayern

Von Olaf Przybilla, Fürth

Heinrich Habel lebt seit mehr als 60 Jahren in Schwabing, er ist dort nicht geboren, aber er liebt diesen Münchner Stadtteil über alles. Vor seiner Pensionierung war er Spezialist für die Architektur des 19. Jahrhunderts am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege; Jugendstil und Historismus, das sind seine Baustile. In so einer Umgebung möchte er leben. Raus aus München? Schwer denkbar für Habel, aber ja doch, sagt er, eines könnte er sich sogar ziemlich gut vorstellen: nach Fürth ziehen.

Unter den bescheidenen Franken gelten die Fürther als die bescheidendsten. Es dürfte dort also nicht wenige geben, die Habels Lebensalternative "München-Schwabing oder eben Fürth" für eine besonders sarkastische Beleidigung aus Altbayern halten. Ist es aber nicht. Der Kunsthistoriker Habel meint das ernst. Und er meint es auch ernst damit, dass er ähnlich geschlossene Jugendstil-Ensembles wie in Fürth in der Republik so nirgends gesehen hat. Wenn überhaupt, dann in Görlitz. Was ja merkwürdigerweise auch kein klassischer Hotspot des gängigen Städtetourismus ist.

Fürth allerdings erst recht nicht. Es gibt Statistiken, denen zufolge Fürth selbst in Franken am untersten Ende aller Orte rangiert, wenn man nach der Beliebtheit beim Touristen fragt. In ebenfalls nicht übermäßig berühmten Kreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim übernachten pro Einwohner fast dreimal mehr Gäste als in Fürth. Von Städten wie Rothenburg ob der Tauber oder Bamberg ganz zu schweigen. Kein Mensch will nach Fürth, könnte man sagen, und der für den städtischen Tourismus zuständige Wirtschaftsreferent Horst Müller (CSU) würde da höchstens pflichtschuldig widersprechen, aber auch nur ein bisschen. Er erinnere sich ja selbst, erzählt er, wie er mal einem Gast die Seiten aus dem Telefonbuch kopiert und angekreuzt habe, wo man womöglich essen gehen könnte. Auf solche Sonderwünsche war die Stadt bis vor Kurzem nicht vorbereitet.

Woran es mangelt in Fürth? Die Fürther haben das jetzt mal anschauen lassen, von Spezialisten aus Österreich. Die haben sich an den Bahnhof gestellt, haben sich als Touristen ausgegeben und Einheimische gefragt, was man denn so machen könnte in Fürth. Sie bekamen erstaunliche Antworten: "Wolltet ihr nach Nürnberg? Wir sind hier in Fürth", war noch eine der positiveren. Bei der Auskunft "Empfehlungen für schlechtes Wetter? In Fürth!? Nee ... Da fällt mir nichts ein", ging's dann schon ans Eingemachte. Und bei der Feststellung "Kulturelles gibt's nur in Nürnberg" könnte man ins Grübeln kommen, ob Böswilligkeit oder eine akute Selbstwahrnehmungsstörung der Grund für so eine Auskunft ist. Oder der Wille der Einheimischen, ihre Stadt ganz für sich zu haben? Schwierig.

Während seiner Zeit im Landesdenkmalamt, erzählt Heinrich Habel, habe er immer mal wieder ausländische Professoren der Kunstgeschichte nach Fürth geführt. Mitunter wirkten die anfangs eher semibegeistert von Habels Plan: ah ja, nach Fürth. Spätestens in der Hornschuchpromenade aber waren seine Kollegen dann regelmäßig "geradezu außer sich". In Wien gibt es dergleichen, in Paris und Nancy auch. In Bayern? In der Münchner Widenmayerstraße, wenn überhaupt. Was die Geschlossenheit der Ensembles betrifft, würde Habel da aber Fürth den Vorzug geben. Wohnhaus-Jugendstil wie aus einem Guss, die "Belle Époque" in Mittelfranken.

2000 Baudenkmäler hat Fürth, Habel hat sie in seiner Zeit am Landesamt eigens aufgelistet. 125 000 Einwohner zählt die Stadt, in der Republik gibt es nur eine Handvoll Städte, die auf mehr Denkmäler pro Einwohner stolz sein kann. Aber Fürth war nie Residenzstadt, ein wirklich bedeutendes Schloss ist also nicht dabei. Fürth war auch nie freie Reichsstadt, vom Ruf historischer Eigenständigkeit zehrte man nie und baute auch keine stolzen Stadtkirchen. Dome ebenfalls nicht, weil Bischofsstadt war man auch nie. Und Universitätsstadt, wenn man ehrlich ist, auch nicht. Ein bisschen Uni hat Fürth zwar inzwischen von Erlangen abbekommen, aber um den weniger repräsentativen Jugendstil in der Altstadt mit viel buntem studentischen Leben zu bevölkern, dafür reicht es dann doch nicht. Es wird immer mehr, das schon. Aber den Begriff "Wissenschaftsstadt", der in Fürth auf dem Ortsschild prangt, nehmen die Fürther selbst nicht so richtig ernst. Horst Müller auch nicht.

Und der Referent weiß selbst, dass es in Fürth einen gewissen Verbesserungsbedarf in Sachen Selbstdarstellung gibt, er hätte dafür grundsätzlich "keine Österreicher gebraucht", sagt er. Aber dass es mal ein paar Auswärtige auf den Punkt gebracht haben, das sei eben schon hilfreich. Es soll nun touristisch angepackt werden in Fürth: Ein gescheiter Internetauftritt für Interessierte, das wäre mal das Erste. Dann ein paar mehr Schilder, weil, Müller weiß das auch, die sagenhafte Hornschuchpromenade findet man nicht notwendigerweise, die ist gut versteckt. Und wenn man Einheimische fragt, schicken die einen souverän über die Stadtgrenze. Folglich müsse man auch die "Stolzarbeit" in der Stadt ankurbeln, wie das die Österreicher genannt haben. Und dann noch ein paar vernünftige Prospekte, auch nicht schlecht.

Immerhin: Telefonbuchseiten für Hungrige kopieren muss in Fürth schon lang keiner mehr. Man schickt Gäste einfach in die Gustavstraße, in die schönste Kneipenmeile weit und breit. Als Habel, der Schwabinger, erstmals Fürth besucht hat, war die noch ein richtig öder Ort, sagt er. Es geht also aufwärts in Fürth, nur eben langsam.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3234835
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.11.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.