Süddeutsche Zeitung

Gedenkstein in Wildpoldsried:Mit QR-Code, ohne Stahlhelm - Update für ein Kriegerdenkmal

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Wildpoldsried im Allgäu will im Gedenken an seine gefallenen Soldaten nicht länger den Krieg verherrlichen und gestaltet ein Monument zum Friedensdenkmal um. Warum das Projekt ein Vorbild für andere Kommunen sein kann.

Von Florian Fuchs, Wildpoldsried

Der Stahlhelm und die Aufschrift "Den Helden in Dankbarkeit gewidmet" werden nicht mehr sichtbar sein. Das Schwert in der Mitte wird entfernt und durch eine Glasscheibe mit Europasymbol ersetzt. Vor allem aber erhalten die Namen auf dem Kriegerdenkmal in Wildpoldsried "Gesichter und Charakter", wie der Zweite Vorsitzende der Krieger- und Soldatenkameradschaft Wildpoldsried, Guido Eberle, es ausdrückt. Anhand eines QR-Codes sollen alle Besucher Kurzbiografien der Menschen erhalten, derer auf dem Gedenkstein gedacht wird.

Wildpoldsried im Allgäu gestaltet sein Kriegerdenkmal neu als Friedensdenkmal und erschafft dabei, mitten im Ort, einen Friedensplatz. Die Verantwortlichen erhalten dafür überregionalen Zuspruch: Das neue Denkmal, das Ende September eingeweiht wird, könne vorbildhaft für andere Gemeinden und ihren Umgang mit Kriegerdenkmälern sein, heißt es vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege. "Wer es richtig machen will, macht es so wie in Wildpoldsried", sagt Schwabens Bezirksheimatpfleger Christoph Lang.

150-jähriges Bestehen feiert die Soldatenkameradschaft in Wildpoldsried dieses Jahr, aus diesem Anlass haben sie sich im Ort Gedanken gemacht über das Kriegerdenkmal. Eine unreflektierte Heldenverehrung, betont Erste Bürgermeisterin Renate Deniffel, wollten sie so nicht mehr. "Uns war wichtig, der gefallenen Menschen zu gedenken und ihnen eine Stimme zu geben", sagt Eberle. Und zu zeigen: "So einen Mist darf es nie wieder geben." Er meint den Krieg, und da ist es bezeichnend, dass der Allgäuer Filmemacher und Historiker Leo Hiemer, der die Gemeinde unterstützt und etwa die Recherchen zu den Biographien vorantreibt, just am 24. Februar dieses Jahres die Arbeit am Projekt aufgenommen hat - am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine.

"Ich hätte es mir als Kriegsdienstverweigerer und Pazifist nie träumen lassen, mal für einen Soldatenverein tätig zu werden", sagt Hiemer. Mit Eberle und Bürgermeisterin Deniffel eint ihn aber das Ziel, das Gedenken neu auszurichten.

Die Soldatenkameradschaft Wildpoldsried hat gerade im Sommer einen Dachverband für Allgäuer Soldatenvereine gegründet. Der alte Zweck dieser Vereine, die Aufarbeitung der Kriegserlebnisse, falle weg. Der Nachwuchs bleibe in vielen Orten aus. Eberle und seine Mitstreiter setzen deshalb auf soziale Medien und der Zeit angepasste Zugänge. "Wir müssen dankbar sein für die lange Zeit, die wir nun in Frieden leben." Die Ereignisse in der Ukraine zeigten, dass die Friedensarbeit, die der Verein sich für die Zukunft auf die Fahnen schreibt, wichtig wie eh und je sei. Ein Ausdruck für diese Friedensarbeit ist nun die Neugestaltung des Denkmals, das jeder Autofahrer sieht, wenn er das Dorf quert.

Acht Meter breit und zweieinhalb Meter hoch ist es. 380 000 Euro kostet die Umgestaltung, wobei 80 Prozent davon laut Deniffel gefördert werden. Weitere 30 000 Euro kostet ein Rahmenprogramm zur Einweihung: Zeitzeugen sollen sprechen, eine Lesung soll es geben, auch eine Ausstellung von Leo Hiemer mit dem Titel "Geliebte Gabi - ein Mädchen aus dem Allgäu - ermordet in Auschwitz".

Etwa 1000 Einwohner hatte Wildpoldsried zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs, 90 Namen von gefallenen Soldaten und zwei getöteten Zivilistinnen standen bisher auf der Tafel. Historiker Hiemer ist es wichtig, dass künftig alle Wildpoldsried Opfer des Krieges auf dem Denkmal verewigt sind. Er hat in der zentralen Personenkartei der Wehrmachtauskunftstelle im Bundesarchiv recherchiert und auch in der Gemeinde selbst, dabei ist er unter anderem auf Kondolenzschreiben von Kompanieführern gestoßen, aus denen sich teils die Umstände des Todes einzelner Personen rekonstruieren lassen. "Da entsteht etwas vor dem geistigen Auge", sagt Hiemer.

Er hat aber auch die Geschichte von zwei polnischen Zwangsarbeitern rekonstruiert, die wegen angeblicher Vorbereitung zum Hochverrat hingerichtet wurden. Oder von einem russischen Offizier, der in Wildpoldsried ums Leben gekommen ist. Beim Absturz eines US-Bombers sind auch vier amerikanische Soldaten gestorben, sie alle sollen ebenfalls auf dem neuen Friedensdenkmal mit Namen zu finden sein.

"Das Thema Kriegerdenkmäler betrifft letztlich so gut wie alle Gemeinden, denn fast jede hat eines", sagt Michael Ritter. Der stellvertretende Geschäftsführer des Landesvereins für Heimatpflege sieht im Umgang mit den Gedenksteinen drei Notwendigkeiten: Einst waren sie Stätten kollektiver Trauerbewältigung, die Leute kannten die aufgeführten Personen noch persönlich. Das ist heute anders, deshalb sieht er den neuen Zugang in Wildpoldsried als vorbildhaft an.

Gleichzeitig sei heute mit Symbolen wie Stahlhelmen und Eisernen Kreuzen oder auch Begriffen wie Ehre oder Vaterland nichts mehr anzufangen, mit denen einst versucht worden sei, den Tod vornehmlich junger Männer ideologisch zu verbrämen. "Es ist an der Zeit, ein differenziertes Bild von Kriegsdenkmälern zu zeichnen."

Im schwäbischen Gundelfingen gab es ebenfalls ein viel beachtetes Projekt zur Umgestaltung eines solchen Denkmals. Das allerdings war während der Zeit des Nationalsozialismus errichtet worden. "Die Formsprache musste dort verändert werden", sagt Bezirksheimatpfleger Lang. Das Denkmal in Wildpoldsried stammt von 1952. Es sei verdienstvoll und ein neuer Weg, das Denkmal nun als "Medium für Vermittlungsarbeit" zu nutzen und damit einen Dialog zwischen Generationen anzustoßen. In Wildpoldsried gelingt das schon alleine dadurch, dass der neue Glaseinsatz den Blick auf das Gelände hinter dem Denkmal freigibt - dort steht ein Kindergarten der Gemeinde.

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