Süddeutsche Zeitung

Isentalautobahn:Das Tempolimit auf der A 94 - Nur ein "Wahlkampf-Gag der CSU"?

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Ministerpräsident Söder hatte die Geschwindigkeitsbegrenzung selbst angekündigt, dann wurde sie per Eilentscheidung gekippt. Dabei bleibt es wohl auch. Nun gibt es Kritik.

Von Matthias Köpf, Dorfen

Irgendwann im Oktober will das Verwaltungsgericht München sein endgültiges Urteil fällen, doch eine öffentliche Verhandlung wird aus Sicht aller Prozessbeteiligten dazu kaum mehr nötig sein. Der Freistaat wird es aller Voraussicht nach nur noch einmal schriftlich bekommen, dass sein improvisiertes Tempolimit zum Lärmschutz an der inzwischen ein Jahr alten Isentalautobahn hinfällig ist. Die Schilder, die zwischen Pastetten und dem Tunnel Wimpasing höchstens 120 Stundenkilometer erlaubten, hat die private Betreiberfirma des Autobahnabschnitts gleich nach der Eilentscheidung des Gerichts Anfang September mit blauen Folien verhüllen lassen, und auch die Autobahndirektion Südbayern hat gegen den Gerichtsbeschluss keine Rechtsmittel eingelegt. Die Anwohner im einst so ruhigen und idyllischen Isental werden bis auf Weiteres mit dem neuen Lärm leben müssen.

Doch ganz unabhängig davon, ob das eine Jahr seit der Verkehrsfreigabe ausgereicht haben könnte, sich an den Lärm der Autos und Lastwagen zu gewöhnen: Hinnehmen wollen viele Menschen im Isental die plötzliche Belastung nicht. "Wort halten, Herr Söder" stand deswegen gerade wieder bei einer Kundgebung nahe Dorfen auf einem großen Plakat zu lesen. Denn Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte die Geschwindigkeitsbegrenzung zu Beginn des Jahres bei einem Ortstermin angekündigt und damit nicht nur die Anwohner überrascht. Das Tempolimit sollte von Februar an zunächst probeweise und nur bis Ende Juli gelten. Weil die Corona-Pandemie mit dem längeren Lockdown und dem gesunkenen Verkehrsaufkommen das Bild verzerrt hätte, wurde das Tempolimit bis Ende des Jahres verlängert - nur führte dann die Klage eines Privatmanns zu der Eilentscheidung des Gerichts.

Dass die staatliche Autobahndirektion diese Eilentscheidung hingenommen hat, hält der mobilitätspolitische Sprecher der Landtags-Grünen, Markus Büchler, für "eine politische Bankrotterklärung". Das "vermeintlich große Entgegenkommen der CSU-Staatsregierung" angesichts der Anwohnerproteste sei nichts weiter als ein "Wahlkampf-Gag der CSU" gewesen, um vor der Kommunalwahl aufgebrachte Bürgerinnen und Bürger zu beschwichtigen. Nachdem der Verkehrsausschuss des Landtags am Dienstag den angeforderten Lärmschutzbericht der Staatsregierung erhalten hatte, verlangte Büchler, den Versuch mit Tempo 120 "rechtssicher fortzusetzen" und einen Plan für den weiteren Lärmschutz an der A 94 zu entwickeln.

Aus Sicht des Verwaltungsgerichts würde zur Rechtssicherheit vor allem eine stichhaltige Begründung für das Tempolimit gehören. Die Autobahndirektion hätte belegen müssen, dass der Verkehrslärm entlang der A 94 tatsächlich eine Gesundheitsgefahr für die Anwohner darstellt, hieß es vom Gericht zu seinem Beschluss im Eilverfahren. Es genüge nicht, dass sich die Autobahndirektion "auf subjektive Empfindungen und Wahrnehmungen von Anwohnern" stütze, selbst wenn deren Beschwerden angesichts des plötzlichen Verkehrslärms wiederum "subjektiv nachvollziehbar" seien.

Mehr als das hatte die Autobahndirektion allerdings nicht zu bieten, um die politische Eilentscheidung des Ministerpräsidenten vom Januar zu unterfüttern. Fachkundige Lärmmessungen hätte das Gericht womöglich als eine objektive Grundlage erachtet, doch diese laufen nach Auskunft der Autobahndirektion erst seit wenigen Wochen und werden noch bis Ende Oktober andauern. Ein Ergebnis werde man wohl erst im Dezember erhalten und Anfang 2021 dem Landtag vorlegen.

Allzu viel dürfen sich die Anwohner von diesen Messungen allerdings kaum versprechen. So haben schon die Gemeinde Lengdorf und die Stadt Dorfen längst selbst messen lassen - mit dem Ergebnis, dass die fachmännisch gemittelten und um bestimmte Umwelteinflüsse bereinigten Werte klar unterhalb der bundesweit erlaubten Werte liegen. Diese einschlägigen Normen liegen nach Behördenangaben auch der Genehmigung der Autobahn einschließlich des Lärmschutzes zugrunde. Ausgelegt sind diese Berechnungen auf 46 000 Fahrzeuge pro Werktag in beide Richtungen, ein knappes Fünftel davon Lastwagen. Eine solche Verkehrsdichte nahmen die Planer für das Jahr 2025 an.

Derzeit sind es laut den jüngsten Zählungen zwischen Pastetten und Lengdorf erst 32 000 Fahrzeuge pro Werktag, weiter Richtung Osten nimmt die Zahl etwas ab. Auch der Fahrbahnbelag, über den all diese Fahrzeuge rollen, sowie die Wälle und Lärmschutzwände entsprechen nach allen bisherigen Untersuchungen den einschlägigen Regelungen sowie der Genehmigung des ganzen Vorhabens. Angesichts all dessen hoffen die Anwohner und Lokalpolitiker an der A 94 nun vor allem auf Nachbesserungen in diesem Bereich und berufen sich auch dabei auf Söders Ankündigungen vom Januar. Er sei sehr für den Bau von Lärmschutzwänden, hatte der Ministerpräsident damals gesagt.

Die Autobahndirektion arbeitet unterdessen an den fehlenden Teilstücken der A94 von Marktl Richtung Passau bis ins niederbayerische Pocking. Als Knackpunkt gilt der Trassenverlauf in Simbach, wo sich alle Beteiligten inzwischen auf eine Tunnellösung festgelegt haben.

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SZ vom 08.10.2020
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