Süddeutsche Zeitung

Eurobike:Ein bisschen E-Bike-Spaß muss sein

Lesezeit: 4 min

Egal ob Kinderkutsche, Hundetransporter oder Lieferwagen: Das Fahrrad ist auf dem Weg zum Autoersatz. Und das coolere Motorrad ist es auch. Eindrücke von der größten Fahrradmesse der Welt.

Von Felix Reek, Frankfurt

Irgendwie ist es schon ein wenig ironisch: Über einen Zeitraum von fast 70 Jahren war Frankfurt der europäische Dreh- und Angelpunkt der Autoindustrie. Seit 1951 gastierte die IAA alle zwei Jahre in Frankfurt, bis die Messe sich im letzten Jahr als IAA Mobility in München neu erfand. Mit der Leistungsschau der vergangenen Jahrzehnte wollte die Automobilbranche nichts mehr zu tun haben, grün, nachhaltig und elektrisch sollte auf einmal alles sein. Das neue Konzept, quer über die bayerische Landeshauptstadt verteilt, war nur mäßig überzeugend. Zumal die Branche ihr Geld außerhalb der Messe noch immer vor allem mit schweren Verbrenner-Modellen verdient.

So ist es nur fair, dass in Frankfurt am Main in diesem Jahr zum ersten Mal die Eurobike stattfindet, eine der größten Fahrradmessen der Welt. Traditionell ist sie am Bodensee angesiedelt. Doch das Messegelände im beschaulichen Friedrichshafen wurde zunehmend zu klein. Die Fahrradbranche und besonders der Elektro-Bike-Sektor boomt seit Jahren, ganz ohne millionenschwere E-Förderung durch den Staat.

Verkehrsminister Volker Wissing schaut auch vorbei

So drängen sich zwischen 13. und 17. Juli Vertreter von Industrie, Presse und Fahrradfans aus 100 Ländern durch die weitläufigen Hallen der Messe in Frankfurt, um sich die Neuigkeiten auf dem Markt anzuschauen. Das scheint nicht jedem zu gefallen. Ein Besucher aus der Branche beschwert sich lautstark, dass das Gelände so groß ist, dass er sich die Füße wund gelaufen habe. Der Biker an sich strampelt eben lieber als zu wandern. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist nicht so fußfaul. Umgeben von seiner Entourage, schreitet er am Mittwochnachmittag durch die Gänge der Eurobike, zuvor hielt er eine kurze Ansprache. Fahrradfahren ist mittlerweile so beliebt, dass selbst die FDP am Zweirad nicht mehr vorbeikommt.

Auf der Eurobike zeigt sich warum: Das Fahrrad wird immer mehr zum Verkehrsmittel für alle. Zumindest, wenn es nach den Vertretern der Branche geht. Kaum eine Anforderung, die die Bikes auf der Messe nicht erfüllen können. Egal ob Kinderkutsche, Hundetransporter oder Lieferwagen: Das Fahrrad ist auf dem Weg, Autoersatz zu werden. Allein die Möglichkeiten, seinen Nachwuchs zu transportieren, sind vielfältig.

Cargo Bikes in allen Formen

Riese & Müller beispielsweise stellt erneut das Packster 70 vor, ein Longjohn, also Zweirad, dessen Transportbox vor dem Lenker besonders sicher sein soll. Das Material stammt aus dem Automobilbau und wird dort unter anderem für Stoßstangen verwendet. Kurz nachdem das Lastenrad auf den Markt kam, rief Riese & Müller das Modell wegen Mängeln zurück. Die sind jetzt behoben, versichern die Mitarbeiter am Messestand. Was bei einem Preis von fast 8000 Euro auch zu hoffen ist.

Neben dem Branchenriesen versuchen sich viele Start-ups im Cargo-Bike-Bereich. Die Firmen sind zum Teil noch so klein, dass die freundlichen Menschen am Stand der Unternehmen alles in einer Person sind: Gründer, Kundenberater und Marketing-Manager. Wichtig bei vielen von ihnen ist der Nachhaltigkeitsgedanke. Max & Mäleon aus Frankfurt zeigen ihr erstes Lastenrad mit Neigetechnik, produziert in Deutschland.

Rethink aus Dresden baut seine Fahrräder aus Holz, das aus Lettland stammt. Natürlich nachhaltig. My Boo aus Kiel zeigt auf der Eurobike sein erstes Lastenrad - mit Bambusrahmen. Die lässt das Unternehmen in Handarbeit von einem sozialen Projekt in Ghana produzieren. Obwohl es fast 8000 Euro kostet, ist die Nachfrage groß. Von der ersten 50 Rahmen sei bereits die Hälfte verkauft, sagt Felix Habke von My Boo. Der Rest werde wohl im Lauf der Woche vergriffen sein, vermutet der Marketing-Manager des Unternehmens.

Zunehmend gefragt scheinen Longtail-Modelle zu sein. Eine Art verlängertes Fahrrad mit Sitzmöglichkeiten hinter dem Sattel. Hier können sowohl eine lange Bank als auch einzelne Sitze montiert werden. Die schlanke Version des Kindertransports, die allerdings nicht sonderlich viel Gepäck zulässt. Die Anzahl der Modelle auf der Eurobike ist deutlich gestiegen.

Auf der anderen Seite des Transportspektrums finden sich Fahrräder, die den Namen kaum noch verdienen. Das Rytle Movr erinnert an den italienischen Kleintransporter Ape: Fahrer vorn, dahinter eine große Ladebox. Entwickelt wurde er für Kurierfahrten. Nur eben mit Pedalen und E-Antrieb statt knatterndem Benzinmotor.

Akku und elektrische Unterstützung sind auf der Eurobike auch in diesem Jahr wieder das dominierende Thema. Es gibt eigentlich kaum noch einen Hersteller, der nicht mehrere E-Bikes im Programm hat. Nur wie das ausgelegt wird, ist durchaus unterschiedlich. Am einen Ende des Spektrums gibt es martialisch aussehende Mountain- und SUV-Bikes, die mit fetten Rahmenkonstruktionen wenig Zweifel daran lassen, wer im Kampf Mensch gegen Straße beziehungsweise Gelände als Sieger hervorgeht. Die immer stärker werdenden Motoren dürften auch weniger austrainierte Radler die meisten Offroad-Strecken meistern lassen.

Am anderen Ende des Spektrums bestechen möglichst kleine Mobilitätslösungen. Coast Bikes aus Bielefeld zeigen mit dem Lowtide ein Klapprad, das sich einfach in der U-Bahn mitnehmen lässt. Sogar ohne Motor.

Irgendwo zwischen Mountainbikes und Klapprad findet sich der Trend, möglichst "urban" und "lifestylig" zu sein. Die Bikes sind schick und schnörkellos, außer Rahmen, Lenker und Rädern soll nichts vom puren Design ablenken. Die Kabelführung verschwindet im Rahmen, Schutzbleche gibt es sowieso nicht. Sogar die Displays sind bei einigen Herstellern in den Lenker integriert. Inspiriert ist dieses Design vom Bahnradsport, bei den E-Modellen sind Rahmenkonstruktionen mittlerweile so zierlich, dass nichts mehr auf einen verbauten Akku hinweist.

Für besonders erstaunte Gesichter auf der Eurobike sorgte die Verschmelzung von klassischen Motorrädern und E-Bikes. Überall in den Messehallen fanden sich E-Bikes mit überdimensionalen Reifen und langen Sitzbänken. Wer noch heute seinem Bonanzarad hinterhertrauert oder wem ein Motorrad sowieso viel zu laut ist, findet hier das Zweirad seiner Träume. Der niederländische Hersteller RSD hat zum Beispiel mit seinen Super 73 Modellen die Optik eines Motocross-Bikes als Pedelec umgesetzt.

Ähnliche Fahrräder gibt es von Argeus, Ruff Cycles und Rayvolt, die je nach Modell unterschiedliche Motorradepochen zitieren. Das nimmt zum Teil bizarre Formen an. Mehrere Firmen zeigen auf der Messe E-Bikes mit Seitenwagen oder nachfolgendem Anhänger. Das Modell Origine des französischen Herstellers Atelier Heritage sieht aus wie ein Motorrad aus den Vierzigerjahren, der "Tank" ist aus Carbon und verbirgt ein Gepäckfach. Für den Nachwuchs gibt es einen Anhänger im gleichen Look. Das sieht zugegeben cooler aus als jedes Lastenrad. Und warum sollen Radfahrer und deren Kinder nicht auch ein wenig Spaß haben.

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