Süddeutsche Zeitung

Elektroroller im Test:Kein "Rängtängtäng", aber wenig Reichweite

Lesezeit: 2 min

Der Niu N1s Civic könnte ein Vorreiter für eine neue Art der städtischen Mobilität sein. Der Elektroroller macht Spaß, erschreckt im Test aber so manchen Radfahrer.

Von Marco Völklein

Von hinten schleicht sich der Roller an. Ganz leise, nahezu lautlos. Die Radfahrerin in der Schwabinger Wohnstraße rechnet nicht damit, dass da plötzlich jemand mit Tempo 33 an ihr vorbeizieht. "Huch", macht sie erschrocken. Und der E-Roller-Fahrer lernt schnell: Von jetzt an lieber einmal mehr als einmal zu wenig den kleinen Knopf für die Hupe am Lenker betätigen.

Tatsächlich schont der 2,4 kW starke Bosch-Radnabenmotor im Elektroroller N1s Civic des Herstellers Niu seine direkte Umwelt. Er hinterlässt weder eine Qualmwolke noch den Geräuschpegel eines Sitzrasenmähers. Und auch der Fahrer hat Spaß: Mit 95 Kilogramm Gewicht samt Akku ist der Roller leichter als viele andere 50-Kubik-Benzinroller. Entsprechend mühelos lässt er sich mit seinen maximal 45 Kilometern pro Stunde um die Kurven steuern sowie auf Haupt- oder Seitenständer aufbocken.

Niu, ein Start-up aus China, hat seit dem Verkaufsstart im Juni 2015 nach eigenen Angaben weltweit mehr als 200 000 E-Roller verkauft. Mit dem 2699 Euro teuren, solide verarbeiteten N1s will die Firma nun in Deutschland landen. Ziel sei es, "die Mobilität innerhalb von Städten nachhaltig zu verändern", sagt Mitgründer Token Hu. Bislang aber sind Elektroroller hierzulande kaum verbreitet, anders als in China, wo Benzinroller vielerorts verboten und die Stromer oft stadtbildprägend sind. In Deutschland erregt man mit einem E-Scooter indes noch immer Aufsehen - aber erst nach einer gewissen Zeit. Nämlich erst dann, wenn den Leuten an der Bushaltestelle auffällt, dass dieses Ding, das da augenscheinlich gleich mit lautem "Rängtängtäng" losknattern müsste, dann zwar mit ordentlich Schub, aber nur leise surrend über die Kreuzung zieht.

Volker Blandow, Leiter Elektromobilität beim TÜV Süd, erwartet, dass E-Roller allein schon aufgrund ihres Flüstertons in den kommenden Jahren aufholen werden. Auch wenn die Stromer aktuell noch deutlich teurer sind als ihre Benzin-getriebenen Brüder. "Die Preise werden runtergehen", glaubt Blandow. Zumal für 2017 weitere Hersteller neue Stromer angekündigt haben. So warten viele in der Szene auf die Elektro-Schwalbe, eine Neuauflage des legendären DDR-Rollers, für die Hersteller Govecs 100 Kilometer Reichweite verspricht. Peugeot hat einen E-Lastenroller für Pizzaboten und andere Lieferdienste versprochen, ähnliches plant der italienische Hersteller Askoll. Und Vespa-Hersteller Piaggio wird wohl in diesem Herbst seinen Klassiker mit einem E-Antrieb bringen. Blandow jedenfalls preist die Stromer als weitgehend wartungsfrei, tropfendes Öl oder Benzingeruch kenne ein E-Roller-Fahrer nicht. "Im Grunde", sagt der TÜV-Fachmann, "kann man die Dinger in die heimische Wohnstube rollen."

Der Akku lässt sich entnehmen und an jeder Steckdose laden

Bei manchen Elektrorollern muss man das sogar - nämlich dann, wenn sich der Akku nicht entnehmen lässt und sich in Keller oder Garage keine Steckdose findet. Im N1s haben die Ingenieure die Lithium-Ionen-Batterie in den ebenen Durchstieg verbaut - und dem Roller so einen tiefen Schwerpunkt sowie Raum für ein kleines Helmfach unter der Sitzbank gegönnt. Auch das findet sich nicht in jedem E-Roller. Die geringe Sitzhöhe von 740 Millimetern ist aber eher für Menschen mit asiatischen Maßen konzipiert. Der zehn Kilogramm schwere Akku kann entnommen und an jeder Steckdose aufgeladen werden. Pluspunkt: Das Ladegerät arbeitet ohne Lüfter, also ohne lautes Brummen, das etwa im Büro die Kollegen stören könnten.

An die Steckdose sollte man den Flitzer ohnehin regelmäßig hängen. Die Chinesen geben zwar 80 Kilometer Reichweite an. Doch so weit trägt der Roller nur, wenn er im verbrauchsoptimierten Betriebsmodus gefahren wird. Und der erlaubt maximal Tempo 20. Um aber im Stadt- wie im überörtlichen Verkehr zumindest mitschwimmen zu können, muss man öfter mal aufdrehen. Und dann schnurrt die Reichweite zusammen: Bei Testfahrten in und um München bei vorfrühlingshaften acht bis zwölf Grad Lufttemperatur (und 75 Kilo Fahrergewicht) zwang einen der Roller nach knapp 50 Kilometern in den Stromsparmodus. Mehr als 18 Kilometer pro Stunde gab die Batterie dann nicht mehr her. Da zog manch ein Radler am Rollerfahrer vorbei. Und zwar ohne dass er die Klingel betätigt hätte.

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SZ vom 20.05.2017 / n
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