Süddeutsche Zeitung

Start-up:Die Welt auf den Kopf stellen

Lesezeit: 5 min

Parkplätze, E-Ladestationen und öffentliche Verkehrsmittel miteinander vernetzen: Start-up-Gründerin Alexandra Mikityuk entwickelt Software, die das urbane Leben radikal verbessern könnte.

Von Steffen Uhlmann

Glaubt man den Nerds, war noch nie so viel Zukunft wie jetzt. Das Internet der Dinge (IoT), prophezeien sie, werde die Art und Weise, wie wir leben, verändern. Mithilfe der damit verbundenen Blockchain-Technologie werde die Welt in nur wenigen Jahren gar auf den Kopf gestellt. Alexandra Mikityuk will sich weder als Sonderling noch als Weltenretterin einordnen lassen und schützt sich davor mit einer Portion Selbstironie. "Neuentwicklungen, so meine Erfahrung, kommen eigentlich zunächst sehr leise daher", sagt sie. "Und das Unauffällige passt wohl eher zu mir."

Mag sein, dabei hat die kleine, zierliche Frau in wenigen Berufsjahren mit ihren Arbeiten schon ein gutes Stück zu dem entfachten Hype um Blockchain und Internet der Dinge beigetragen. Und so disruptiv diese Technologien anmuten, so wechselvoll ist auch die persönliche Geschichte der jetzt 33-Jährigen.

Der Großvater war ein Flugzeugingenieur und begeisterte seine Enkeltochter für Technik und Naturwissenschaften

Als der britische Technologie-Pionier Kevin Ashton 1999 erstmalig den Begriff vom Internet of things prägte, bastelte das damals zehnjährige Mädchen vermutlich gerade mit ihrem Großvater an einem Teigkneter oder Getränkemixer herum. "Mit Opa in seiner Garage irgendetwas Nützliches für die Familie zusammenbauen, das hat mir immens viel Spaß gemacht", sagt sie und erzählt von ihrer Kindheit in St. Petersburg.

Der Großvater, ein Flugzeugingenieur, hatte seine Enkeltochter schon früh mit Technik und Naturwissenschaften zusammengebracht. Und damit bei dem Mädchen nicht nur Neugier und Interesse entfacht, sondern auch jede Menge Ehrgeiz. In Mathematik und Physik war Alexandra Mikityuk bald die Überfliegerin an ihrer Schule und auch bei Wettbewerben darüber hinaus immer mit ganz vorn.

Ihre schulischen Leistungen bescherten ihr nicht nur ein ausgezeichnetes Abiturzeugnis, sondern auch ein Förderstipendium an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). "2007 bin ich nach Berlin gekommen und habe ohne große Deutschkenntnisse gleich mit dem Studium angefangen", erzählt sie. Nur drei Jahre später war sie bereits Diplomingenieurin, um kurz darauf an der TU Berlin an ihrer Doktorarbeit zum Thema Sicherheit in Computersystemen zu arbeiten - mit Erfolg, versteht sich.

Von 2013 an dann der Sprung in die Arbeitswelt. Zu jener Zeit war Blockchain (Blockreihe oder Blockkette) schon längst in der Welt. Die Blöcke stehen dabei für einzelne Datensätze, die hintereinander abgespeichert werden, wodurch eine Datensatzkette entsteht, die durch das Anketten weiterer Datenblöcke unaufhörlich wächst - bis hin zu einem globalen Transaktionsregister. Das bekannteste Anwendungsbeispiel einer Blockchain ist die Kryptowährung Bitcoin, die eine Person oder vielleicht eine Personengruppe unter dem japanischen Pseudonym Satoshi Nakamoto entwickelt und unter dem Eindruck der Bankenkrise 2008 auf den Markt gebracht hatte. Anfangs belächelt und von etablierten Banken eher als "Nerdspinnerei" abgetan, ist die Bitcoin-Blockchain inzwischen ein Riesenerfolg und damit auch eine stetig wachsende Gefahr für tradierte Finanzinstitute.

Es waren die immensen Möglichkeiten dieser neuen Technologie zur Vereinfachung, Automatisierung und zur Steigerung der Verlässlichkeit von Transaktionen, die weit über den Handel mit einer Kryptowährung hinausgehen, die Alexandra Mikityuk dem Blockchain-Thema nahebrachten. Das merkte sie schnell, und zum Glück fand die junge Wissenschaftlerin bei der Telekom bald eine Heimstatt für ihre aufkeimende neue Leidenschaft.

Erst bei der T-Systems, der Telekom-Tochter für Informations- und Kommunikationstechnologien, vor allem aber dann in den T-Labs, der Forschungs- und Entwicklungseinheit der Telekom, hat sie das Blockchain-Thema energisch vorangetrieben. "Ich habe dort quasi im Alleingang angefangen und dann Schritt für Schritt ein Team um mich herum aufgebaut", sagt sie. "Eine schöne Zeit: In der Spitze waren in meinem Team bald 80 junge Leute aus 15 Ländern - für mich eine extrem diverse schöpferische Gruppe, einfach toll."

Genossen hat sie nicht nur die Teamarbeit, sondern auch die Freiheit, an Entwicklungen zu arbeiten. "Wir haben an Greenfield-Innovationen geforscht und gearbeitet", sagt sie. "Es ging schließlich darum herauszufinden, wie man Blockchain für Unternehmen und natürlich auch für die Telekom nutzbar machen kann."

Berlin war dafür das richtige Pflaster. "Um uns herum existierten 2017 bereits 40 Start-ups, die sich mehr oder weniger mit dem Blockchain-Thema beschäftigt haben", erzählt sie. "Und alle wollten herausfinden, welche Chancen die neue Technologie für das tägliche Business bietet."

Mikityuk beschäftigt sich vor allem mit der sicheren Vernetzung von Maschinen, Geräten und Diensten

Fast überall sieht Mikityuk mittlerweile außergewöhnliche Möglichkeiten zur Vereinfachung, Automatisierung und zur Steigerung von Verlässlichkeit. Und das nicht nur bei Buchhaltung, Dokumentation, Rechnungserfassung oder Wirtschaftsprüfung. Die transparente Rückverfolgung von Lebensmitteln oder ganzer Lieferketten, die direkte Abwicklung von Ticketverkäufen zwischen Anbietern und Kunden ohne die Zwischenschaltung eines Finanzdienstleiters oder etwa das Erkennen und die Steuerung von Verkehrsflüssen sind für sie Beispiele für das segensreiche Wirken von Blockchains.

Sie selbst hat sich vor allem mit der sicheren Vernetzung von Maschinen, Geräten und Diensten beschäftigt. "Deren Kommunikation miteinander bietet die Chance, Menschen von lästigen und zeitaufwendigen Routinearbeiten zu entlasten", sagt Mikityuk. "An der nötigen Software dafür arbeite ich seit meiner Telekom-Zeit."

Als sie die erste Kommunikationssoftware dafür entwickelt und zur Marktreife geführt hatte, wuchs bei ihr der Wunsch, sich damit selbständig zu machen. Bei den Telekom-Entscheidern fand sie Verständnis dafür, und mit dem Management-Experten Philip Toepffer, mit dem sie schon im T-Lab zusammengearbeitet hatte, den passenden Geschäftspartner. 2019 gründeten die beiden die Staex GmbH - mit Geld aus eigener Tasche, einem Start-up-Stipendium und etwas Seed-Kapital der Telekom.

Aachen sei bereits auf dem Weg zur Smart City

Was damals ziemlich bescheiden begann, ist mit den Jahren zu einem ernst zu nehmenden Akteur im Bereich Internet der Dinge und Blockchain geworden. Mittlerweile liegt die dritte Version ihrer Staex-Software vor, und ihr Unternehmen, das nun 15 feste und freie Mitarbeiter beschäftigt, hat auch einen ersten Kunden dafür akquiriert. Zusammen mit dem städtischen IT-Dienstleister Regio IT haben Mikityuk und Co. ein neues Mobilitätskonzept für die Stadt Aachen entwickelt.

"Mithilfe unseres Programms werden Parkplätze, Ladestationen für E-Fahrzeuge, öffentliche Verkehrsmittel und andere Einrichtungen rund um den Verkehr miteinander vernetzt", erklärt die Staex-Chefin. "Die dadurch gewonnenen komplexen Informationen zu Verkehrsaufkommen, Mobility-Sharing, ÖPNV oder zu Baustellen helfen den Aachenern, schneller durch die Stadt zu kommen."

Und auch den Kommunen selbst liefern die auf einem Dashboard gebündelten Informationen zu Verkehr, Ausfällen oder Staus detaillierte Daten, die eine nachhaltige Stadtplanung erst möglich machen. "Und das ist nur ein erster Schritt", sagt Mikityuk. Aber auch der zeige schon, dass sich Aachen auf den Weg zur Smart City, zur klugen, vernetzen Stadt, gemacht habe.

Mit ihrer Software-Plattform macht Staex gerade kommunalen Kunden ein Angebot für den Aufbau zukunftssicherer Infrastrukturen für Smart Citys und smarte Versorgungsunternehmen. Das hat nicht nur die Aachener Kommunalen überzeugt. Im vergangenen Jahr haben Mikityuk und Toepffer in der Kategorie Internet of Things / Industrie 4.0 den Deep Tech Award des Berliner Senats gewonnen. Und im April dieses Jahres haben sie endlich ihre erste handfeste Finanzierungsrunde erfolgreich abgeschlossen, die immerhin 1,65 Millionen Euro in die Staex-Kasse gespült hat.

Die Erwartungen der Kapitalgeber sind hoch. Markus Barnickel, Investment-Manager vom Geldgeber Brandenburg Kapital, glaubt fest daran, dass Mikityuk und Toepffer das Zeug dazu haben, Staex zum internationalen Marktführer zu machen. Und Dominic Briggs vom Venture-Kapitalgeber Blockwall Capital ist überzeugt, dass Staex das Internet der Dinge noch "revolutionieren" kann. So viel Lob, so viel Erwartung und auch so viel Lärm darum. Alexandra Mikityuk hat als Unternehmerin gelernt, die "laute Aufmerksamkeit" für das Geschäft zu nutzen. "Aber eigentlich", gesteht sie, "liebe ich es immer noch leise."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5593425
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.