Süddeutsche Zeitung

Autonomes Fahren:Chauffeur für alle

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Sensoren und Rechenchips werden immer billiger, Assistenzsysteme immer besser. Wieviel muss der Käufer für das vollautonome Fahren als Extra zahlen?

Von Joachim Becker

Sanierungsfall oder Erfolgsmotor? Die deutsche Autoindustrie bietet ein zwiespältiges Bild. Während die Transformation zur E-Mobilität nach einem Stolperstart in Gang kommt, sieht es beim hochautomatisierten Fahren eher mau aus. Audi, BMW und Mercedes haben ihre entsprechenden Projekte auf den Prüfstand gestellt und das Führungspersonal ausgetauscht: zu aufwendig, zu teuer, außerdem tun es weiterentwickelte Assistenzsysteme doch auch noch ein Weilchen. Die Tech-Industrie startet dagegen auf allen Kontinenten durch: Auf dem Digitalgipfel im Mai warnte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Autobranche explizit davor, zur "verlängerten Werkbank" von IT-Unternehmen zu werden. Können die Deutschen also nur noch hübsche Karosserien bauen, während zentrale Elektronik-Komponenten sowie Software-Knowhow aus dem Ausland kommen?

Den Eindruck kann man gewinnen, wenn man mit den Führungskräften von Chipherstellern redet. Waren Firmen wie Mobileye und Nvidia bis vor wenigen Jahren noch Sub-Sub-Lieferanten für Systemspezialisten wie Bosch, Continental und ZF, so geben sie nun den Innovationstakt vor: "Was wir heute tun, ist nicht das, was wir im Jahr 2025 tun werden", sagte Amnon Shashua, Chef von Mobileye, zu Anfang des Jahres: "Bis dahin wollen wir das autonome Fahren demokratisieren und vielen Menschen diese Erfahrung ermöglichen: Auf dem Rücksitz Platz nehmen und sich von einem Computer fahren lassen - nicht nur auf wenigen Straßen, sondern wohin immer sie wollen", so Shashua.

Werden die Autohersteller zur verlängerten Werkbank der IT-Unternehmen?

Autonomes Fahren für Privatfahrzeuge zum Aufpreis von etwa 5000 Euro? Auch Frank Petznick glaubt an einen solchen Durchbruch: "Wir sind der festen Überzeugung, dass ab 2025 automatisiertes Fahren auf Level 4 in größerem Umfang verfügbar sein wird. Grundvoraussetzung hierfür sind Kosten unter 5000 Euro, die mit hochintegrierten Lidar-Sensoren sogar noch deutlich unterboten werden können", so der Leiter des Geschäftsbereichs Fahrassistenten bei Continental. Die erschwingliche Robotertechnik würde mit einem Schlag die gesamte bestehende Fahrzeugflotte alt aussehen lassen.

Wie das gehen soll, erklärt Amnon Shashua so: Intel, der Mutterkonzern von Mobileye, wird bis 2025 nicht nur Halbleiter, sondern auch hochintegrierte Radar- und Lidarsysteme in Serie produzieren. Die Sensoren auf kleinen Silizium-Chips der nächsten Generation sollen so eng mit miniaturisierten Hochleistungsrechnern verknüpft werden, dass die Kosten dramatisch sinken. Dabei steigt die Rechenleistung ständig weiter, ein Daumennagel-großer Chip arbeitet heute schneller als früher ganze Rechenzentren. Mit dieser enormen Computer-Power können verschiedene Sensortypen jeweils eigenständige Bilder von der Welt entwerfen. Die daraus gewonnenen Umfeldmodelle sind besonders zuverlässig, weil sich Kamera, Radar und Lidar gegenseitig kontrollieren.

Wer mit dem Intel-Rivalen Nvidia spricht, bekommt einen ähnlichen Masterplan präsentiert: Die Chip-Riesen finanzieren ihre milliardenschweren Entwicklungsprojekte aus den sprudelnden Einnahmen der Konsumentenelektronik - genauso wie es Apple und Google tun. Nvidia wird seine Elektronik-Plattform für das autonome Fahren ab 2024 an Daimler liefern - für alle Modellreihen der Stuttgarter. Schon heute befeuern die Hochleistungsrechner aus Kalifornien das Infotainmentsystem MBUX: Ein vollvernetztes Spielzeug mit Riesenbildschirm, dass die digitale Welt hochauflösend ins Auto holt. Wer unterwegs ruckelfreies Breitwand-Kino genießen kann, der will sich nicht mit dem stockenden Verkehr in Großstädten herumärgern. Genau auf dieses Multimedia-Milliarden-Geschäft spekulieren die Tech-Konzerne.

Software-basierte Fahrzeugarchitekturen nennen das die Autohersteller. Aber sie brauchen lange, um ihre Blechkisten fit für diese volldigitale Zukunft zu machen. Die drei großen deutschen Zulieferer wittern jedoch Morgenluft. Während das Geschäft mit Komponenten für Verbrennungsmotoren rückläufig ist, legen assistierte und automatisierte Fahrsysteme schon seit Jahren zweistellig zu. "Der Markt wächst. Schon in den kommenden drei Jahren wird er sich mehr als verdoppeln", so der neue Continental-Chef Nikolai Setzer.

"Wir streben die globale Führung beim Thema Technologie für automatisiertes Fahren an", verkündete Setzer auf der Hauptversammlung 2021. Was einigermaßen mutig wirkt: Es scheint zwar sinnvoll, "Autonomous Mobility" ab 2022 zu einem eigenständigen Geschäftsfeld von Continental zu machen. Verglichen mit den "zusätzlichen Investitionen von bis 250 Millionen Euro" (Setzer) spielen die Tech-Konzerne aus den USA und China aber in einer anderen Liga.

Die schnellen Fortschritte steigern das Sicherheitsniveau von allen Neuwagen

Ohne die System-Zulieferer wird es trotzdem nicht gehen. Sie haben das nötige Knowhow (und im Falle von Bosch und Continental jeweils 20 000 Software-Entwickler), um Künstliche Intelligenz und neue Elektronik-Funktionen mit einem sicheren Fahrverhalten zu verheiraten. Und sie sind schon heute Marktführer bei Abstandstempomaten, Notbrems- und Spurhaltesystemen. Solche Assistenten gehören ab dem nächsten Jahr zur Pflichtausstattung für Neuwagen in Europa. Und die aktiven Sicherheitssysteme werden künftig noch stärker bei den EuroNCAP-Crashtest als Bewertungsmaßstab zugrunde gelegt. Nach dem Motto: Unfälle vermeiden, statt die Folgen zu mindern.

Fahrassistenten werden also schon bald zum Standard und in der nächsten Ausbaustufe können sie auch automatisiert fahren: Ob vorausschauender Spurwechsel auf der Autobahn, autonomes Staufolgefahren oder ein Autobahn-Chauffeur bis Tempo 130 km/h: Kameras behalten den 360-Grad-Überblick über das Verkehrsgeschehen, während hochgenaue Crowdsourcing-Karten dem Auto nicht nur zentimetergenau zeigen, wo es sich gerade befindet, sondern auch, was ihn auf der Strecke voraus erwartet. Karriere macht auch der gute alte Radarsensor, dessen Pling-Pling die See- und Luftfahrt schon im vorigen Jahrhundert wesentlich sicherer machte. Mittlerweile können die Licht-unabhängigen Strahlenbündel auch Fahrzeuge in mehr als 300 Metern Entfernung ausmachen. Selbst kleine, schwach reflektierende Objekte, wie etwa Backsteine, werden auf eine Distanz von 160 Metern mit mehreren Messpunkten zuverlässig erkannt.

Dieser präzise Weitblick ist eine Kernvoraussetzung für das automatisierte Fahren: Selbst bei höherem Tempo gewinnt das Fahrzeug eine Vorlaufzeit von mehreren Sekunden, um auf Hindernisse reagieren zu können. Dabei bleiben Radarsysteme um ein Vielfaches günstiger als Lidar-Sensoren, die die Welt ähnlich wie Blitze oder Scheinwerfer auf einer eigenen Wellenlänge "erhellen" und verzerrungsfrei vermessen.

Sensoren werden also schnell besser, während die Computer-Power für künstliche Intelligenz immer billiger wird. Daher rechnen alle Tech-Unternehmen damit, dass vollautonome Autos spätestens 2025 in Serie gehen. Der Bundestag hat gerade die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen. Und die deutschen Autohersteller werden sich beeilen, mit dem eingebauten Chauffeur in Serie zu gehen. Denn im Wachstumsmarkt China wollen neue Wettbewerber wie Nio schon im nächsten Jahr mit hochautomatisierten Fahrfunktionen durchstarten - ausgestattet mit der neuesten Rechnerelektronik von Nvidia.

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