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Coronavirus:WHO testet sechs Wirkstoffe gegen Covid-19

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Von Kathrin Zinkant

Tedros Adhanom Ghebreyesus hat in den vergangenen Wochen wohl kaum ein Wort so oft gebraucht wie das der Solidarität. "Solidarity, solidarity, solidarity", wiederholte der Direktor der Weltgesundheitsorganisation WHO fast gebetsmühlenartig, wenn es um die Frage ging, was der globalen Epidemie mit dem neuen Coronavirus Sars-CoV-2 Einhalt gebieten könne.

Es ist daher wenig überraschend, dass die UN-Gesundheitsbehörde die erste multinationale Megastudie im Kampf gegen die Pandemie jetzt "Solidarity" getauft hat. Vier Therapien mit insgesamt sechs Wirkstoffen sollen nun getestet werden, an Tausenden Patienten weltweit. Dahinter steht die Gewissheit, dass ein Impfstoff in den kommenden Monaten nicht erhältlich sein wird. "Solidarity" soll daher ein wirksames Medikament identifizieren - auch wenn nicht alle Kandidaten Anlass zu viel Hoffnung geben.

Der größte Hoffnungsträger bislang: Remdesivir, das in die Vermehrung von Viren eingreift

Chloroquin und Hydroxychloroquin zum Beispiel sind Arzneien, die seit den 1950er-Jahren als Prophylaxe und Therapeutikum gegen Malaria eingesetzt werden. Beide Wirkstoffe verändern das Milieu von Zellen und können so die Vermehrung der Malariaparasiten stoppen. Es gibt jedoch keine belastbaren Hinweise, dass die zwei Wirkstoffe auch das neue Coronavirus tatsächlich wirksam bekämpfen. Insbesondere Hydroxychloroquin hat zudem gravierende Nebenwirkungen, es kann das Herz schädigen. Ursprünglich sollten die Mittel in der Solidarity-Studie deshalb gar nicht untersucht werden.

Doch weil die Nachfrage nach den Malariaarzneien zur Behandlung von Covid-19 gestiegen ist und Daten zu Patienten, die in China angeblich erfolgreich mit Chloroquin behandelt wurden, immer noch nicht veröffentlicht wurden, entschied sich die WHO vor einigen Tagen um. Es geht womöglich darum, einen Verzicht auf die Malariamittel in der Behandlung von Covid-19 mit soliden Daten begründen zu können - und die beiden Wirkstoffe für andere Patienten zu reservieren, bei denen sie wirklich helfen. Dazu gehören auch Menschen, die von Amöben befallen sind oder die Autoimmunkrankheit Lupus erythematosus haben.

Wesentlich optimistischer waren Ärzte dagegen zunächst bei einem Kombinationsmedikament aus der HIV-Medizin. Das Mittel mit den Substanzen Lopinavir und Ritonavir ist unter dem Markennamen Kaletra seit fast 20 Jahren auf dem Markt. Es hat sich zudem bei Coronaviren wie dem Mers-Virus als wirksam erwiesen, zumindest im Labor. Doch eine Studie an knapp 200 Covid-19-Patienten endete bereits ernüchternd, es war keine größere Wirkung als durch übliche medizinische Maßnahmen allein zu erkennen. Im Solidarity-Trial sollen die Mittel deshalb zusätzlich kombiniert mit dem antiviral wirkenden Immunbotenstoff Beta-Interferon getestet werden. Auch das ist nicht frei von Risiken, das Interferon könnte die Krankheit vor allem in der späten Phase verschlimmern.

Alle Hoffnung ruht deshalb vorerst auf Remdesivir. Die Substanz greift direkt in die Vervielfältigung von Viren ein, deren Erbgut aus RNA besteht, und wurde im vergangenen Jahr erstmals gegen das Ebola-Virus eingesetzt - wenn auch erfolglos. Laborversuche haben jedoch gezeigt, dass das Mittel die Vermehrung von Coronaviren stoppen kann. Und einzelne Fallberichte von Patienten, die schwer an Covid-19 erkrankt waren und nach Gabe von Remdesivir fast umgehend wieder auf die Beine kamen, schüren nun die Erwartungen. Zahlreiche kleinere Studien und Therapieversuche laufen bereits oder sind geplant.

Die WHO hat angekündigt, in der Auswahl der Therapien flexibel zu bleiben. Tatsächlich gibt es viele mögliche Kandidaten für Covid-19-Behandlungen. Eine bislang nur auf dem Preprint-Server bioRxiv veröffentlichte Arbeit listet knapp 70 Substanzen auf, die aufgrund ihrer genetischen Eigenschaften direkt am Virus ansetzen könnten. Hinzu kommen Stoffe wie das Rheumamittel Tocilizumab, das auch in der Krebsmedizin verwendet wird - und das die heftige Entzündung des Lungengewebes ersten Hinweisen zufolge stark mildern kann. Das Grippemittel Favipiravir ist ebenfalls ein möglicher nachträglicher Kandidat für Solidarity.

Noch ist unklar, ob eines der Mittel die große Erleichterung bringen wird. Wenn ja, wird es wieder auf die Solidarität der Länder ankommen - um möglichst vielen Patienten weltweit diese wirksame Behandlung zukommen zu lassen.

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SZ vom 25.03.2020
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