Süddeutsche Zeitung

Verhaltensbiologie:Die zwei Leben der Heuschrecke

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Sie fressen Gift und geben die Tarnung auf: Wenn Wüstenheuschrecken sich zu einem Schwarm vereinigen, ändern sie ihr Aussehen und stellen ihr Verhalten auf den Kopf.

Von Sebastian Herrmann

Das Leben der Wüstenheuschrecke unterteilt sich in zwei Phasen. Den ersten Abschnitt verbringen die Insekten als Einzelgänger an einem festen Ort. Im zweiten Akt verschmelzen die einzelnen Individuen zu einer gigantischen Masse: Die Insekten geben ihr Leben als Einsiedler auf und finden sich zu Schwärmen aus bis zu 50 Millionen Heuschrecken zusammen.

Sie begeben sich auf Wanderschaft und fressen alles kahl, was sich kahl fressen lässt.

Der Übergang vom Individuum zum Kollektiv geht dabei mit erstaunlichen Veränderungen der Gestalt und des Verhaltens einher, berichten Zoologen von der Universität Cambridge um Patrício Simões im Fachmagazin Current Biology(Bd. 23, S. 10 695, 2013).

Wüstenheuschrecken bilden Schwärme, wenn das Futter knapp wird. Der Wettbewerb um Nahrung treibt sie zusammen und auf Wanderschaft. Dabei verändert sich ihr Aussehen. Als Einzelgänger ist Tarnung ihre Versicherung vor Fressfeinden.

Im Schwarm nimmt die Sichtbarkeit der einzelnen Tiere hingegen zu, ihre Färbung leuchtet kräftiger. Ihre Verteidigungsstrategie gegen insektenfressende Wirbeltiere basiert nun auf Gift. Die Heuschrecken fressen toxische Pflanzen und reichern die Stoffe in ihrem Körper an, sodass sie als Beute ungenießbar werden.

Für Wissenschaftler steckt in diesem Verhalten ein Rätsel: Warum fressen die Heuschrecken in ihrer zweiten Lebensphase giftige Pflanzen, während sie diese als Einzelgänger mieden? Die Forscher um Simões bemerkten, dass Wüstenheuschrecken beim Übergang zum Leben im Schwarm keine neuen Aversionen mehr entwickeln.

So verlernen sie auf ihren Reisen, gegen womöglich unverträgliche Pflanzen aufgrund des Geruchs eine Abneigung zu verknüpfen. Und weil die Schwärme mehr oder weniger alles fressen, was wächst, vergessen die Tiere irgendwann die Aversionen, die sie als Einzelgänger gelernt hatten.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2013
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