Süddeutsche Zeitung

Kommunikation:Warum Menschen schreien

Lesezeit: 1 min

Während Affen und andere Säugetiere meist schreien, um Alarm zu schlagen, können Menschen auch schöne Emotionen damit ausdrücken.

Von Joachim Czichos

Bei Säugetieren dienen laute Rufe meist als Alarmsignale, die Artgenossen vor Gefahren warnen. Dagegen können Schreie von Menschen ganz unterschiedliche Bedeutungen haben, wie Forscher aus der Schweiz jetzt im Fachblatt PLoS Biology berichten. Dabei sind menschliche Gefühlsäußerungen in Form unkontrollierter Schreie nicht immer nur mit negativen Gemütserregungen wie Angst, Schmerz, Wut und Trauer verbunden. Sie können auch Ausdruck von Freude und Lust sein. Überraschend war für die Wissenschaftler die Beobachtung, dass alarmierende Schreie von Zuhörenden schlechter erkannt werden als andere Schreie.

"Menschen können genau wie Tiere durch Schreie Gefahr signalisieren. Aber anscheinend setzen nur Menschen Schreie auch dafür ein, positive Emotionen wie extreme Freude und Lust zu signalisieren", sagt Sascha Frühholz von der Universität Zürich. Er und seine Kollegen untersuchten, wie viele Arten menschlicher Schreie es gibt, wie sicher die Testpersonen diese unterscheiden können und welche Hirnregionen an der Verarbeitung der Signale beteiligt sind. Dazu erstellten sie zunächst Tonaufnahmen unterschiedlicher Schreie, zum Beispiel: ein Angriff durch eine bewaffnete, fremde Person, Jubel über einen sportlichen Sieg, das Einschüchtern eines Gegners oder lustvoller Sex.

Für Menschen haben nicht alarmierende Schreie eine größere Bedeutung für die Kommunikation erlangt

Aus den Aufnahmen wählten die Forscher 420 Schreie aus, die einzeln oder paarweise jeweils für die Dauer von 800 Millisekunden in gleicher Lautstärke Testpersonen vorgespielt wurden. Daraus ermittelten sie sechs Kategorien, darunter drei von alarmierendem Charakter (Schmerz-, Wut- und Angstschreie) und drei nicht alarmierende Schreie (als Ausdruck großer Lust, extremer Freude und verzweifelter Traurigkeit). Entgegen aller Erwartung reagierten die Versuchspersonen auf nicht alarmierende Schreie schneller und erkannten die damit ausgedrückte Emotion zuverlässiger als bei alarmierenden Schreien. Das bestätigten auch Aufnahmen des Gehirns mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT).

Bisher gingen Forscher davon aus, dass auch der Mensch in Form von Schreien wahrgenommene Alarmsignale besonders schnell erkennt und verarbeitet. Doch im Gegensatz zu Affen und anderen Säugetieren hätten für Menschen nicht alarmierende Schreie - darunter solche mit positiven Emotionen - eine größere Bedeutung für die Kommunikation erlangt. "Diese veränderte Priorität beruht wahrscheinlich auf Erfordernissen, die sich bei der Evolution komplexer sozialer Beziehungen des Menschen entwickelt haben", so Frühholz.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5265640
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/imago imagesWestend61
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.