Süddeutsche Zeitung

Private Raumfahrt:Kurierdienst in den Weltraum

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Mit höchster Anspannung blicken Raumfahrer derzeit auf den für Samstag geplanten Start eines ganz besonderen Frachters: "Dragon" ist der erste privat gebaute Raumtransporter, der die Internationale Raumstation ISS versorgen soll. Gelingt die Mission, ist das der Aufbruch in eine neue Ära. Das Risiko eines Scheiterns ist allerdings groß.

Alexander Stirn

Die Aufgabe klingt einfach, sie wurde auch bereits dutzendmal erfolgreich bewältigt: Ein unbemannter Raumfrachter soll an diesem Samstag ins Weltall starten. Er soll Kurs auf die Internationale Raumstation ISS nehmen und dort nach einem dreitägigen Flug andocken.

Doch blicken Raumfahrer diesmal mit höchster Anspannung auf das Gelingen dieser Mission. Der Weltraumfrachter, der sich derzeit in Florida auf seinen Start vorbereitet, wurde erstmals in der Geschichte der Raketenfliegerei von einem Privatunternehmen konzipiert und gebaut. Er heißt Dragon (engl.: Drache) und auf ihm lastet eine enorme Verantwortung. Sollte das private Versorgungsschiff erfolgreich sein, wäre das der Aufbruch in eine neue Ära. Doch ist das Risiko mindestens genauso groß.

Diese Mission ist für uns nicht nur wichtig, sie ist kritisch", sagt Charles Bolden, Chef der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Mit Dragon bekämen die USA erstmals seit der Ausmusterung der Spaceshuttles wieder die Möglichkeit, die ISS aus eigener Kraft mit Nachschub zu versorgen.

Mehr als 380 Millionen Dollar hat die Nasa bereits für die Entwicklung des Raumschiffs und der dazugehörigen Falcon-9-Rakete ausgegeben. Die kalifornische Firma Spacex, welche die Raumfahrzeuge plant und baut, hat nach eigenen Angaben weitere 700 Millionen Dollar investiert.

Dahinter steckt das neue Geschäftsmodell der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa. Statt wie bislang den Bau von Raumschiffen selbst zu organisieren und dabei für jedes Problem und jede Verzögerung finanziell geradezustehen, wälzt die Nasa das Risiko nun auf private Firmen ab. Es gibt nur noch eine Anschubfinanzierung.

Im Gegenzug können sich die Unternehmen Hoffnung auf lukrative Aufträge für den Betrieb der Raumschiffe machen - sofern sich ihre Entwicklungen bei Tests bewähren.

Auf Spacex und die konkurrierende Firma Orbital Sciences, die ebenfalls einen Raumfrachter entwickelt, warten in den kommenden Jahren Transportaufträge im Wert von bis zu 3,8 Milliarden Dollar.

Mit der neuen Strategie hat sich auch der Tenor verändert. Jahrzehntelang war es verpönt, in der bemannten Raumfahrt über Risiken oder gar die Möglichkeit des Scheiterns zu sprechen. Bei Dragon ist das Thema Fehlschlag dagegen allgegenwärtig:

"Wir sind gut in Schuss, dürfen aber nie vergessen, dass sehr viel schiefgehen kann", sagt Spacex-Chef Elon Musk. "So eine Mission ist ziemlich heikel." Bei der Vorstellung seiner Pläne erwähnt Musk, der sein Vermögen einst mit dem Verkauf des Internet-Bezahldienstes Paypal gemacht hat, immer wieder, Dragon stehe vor einem Testflug. Ob der Frachter die Raumstation erreiche, sei keinesfalls sicher.

Die Vorsicht ist verständlich - und wohlkalkuliert: Politisch haben die privaten Raumfahrer in den USA derzeit mit heftigem Gegenwind zu kämpfen. Vor allem republikanische Abgeordnete kritisieren, dass eine patriotisch wichtige Aufgabe wie die bemannte Raumfahrt in die Hände junger Unternehmen gelegt werde, die bislang kaum Erfolge vorweisen können.

Besonders lautstark sprechen sich dabei Politiker aus Bundesstaaten mit Nasa-Standorten und etablierten Raumfahrtkonzernen gegen die Privatisierung aus. Sie fürchten um Arbeitsplätze und Wählerstimmen, und sie wären die ersten, die sich im Falle eines Dragon-Fehlschlags für eine Abkehr von der neuen Nasa-Strategie starkmachen würden. "Keine Frage, einige Leute werden den anstehenden Flug besonders kritisch betrachten und ihm zu viel Bedeutung zumessen", sagt Musk.

Bereits dreimal musste er einen geplanten Starttermin verschieben, zuletzt machten Probleme mit der Steuersoftware den Ingenieuren Sorgen. Der gebürtige Südafrikaner versucht deshalb, bereits vorab die Folgen einer nicht hundertprozentig erfüllten Mission kleinzureden. Selbst im Falle eines Problems, so Musk, blieben Spacex in diesem Jahr noch zwei weitere Startchancen, um die von der Nasa geforderten Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.

Das Pflichtenheft ist jedenfalls dick: Nach dem Start vom Raumfahrtzentrum Cape Canaveral, der für Samstag, 10.55 Uhr deutscher Zeit geplant ist, soll Dragon zunächst in einem Orbit 2,5 Kilometer unterhalb der ISS bleiben. Dabei wird der Frachter Kontakt mit der Raumstation aufnehmen, die ihre Bahnen derzeit in etwa 400 Kilometer Höhe dreht. In sicherem Abstand soll Dragon dann verschiedene Manöver absolvieren, darunter einen manuellen Abbruch des Annäherungsversuchs.

Erst wenn die Nasa und die internationalen Partner mit den gezeigten Leistungen zufrieden sind, darf der gut fünf Meter lange Raumfrachter in den Nahbereich der ISS vorstoßen - eine Schutzzone, die die Raumstation mit einem Radius von 200 Metern umgibt.

Nachdem sich Dragon auf zehn Meter genähert hat, werden ISS-Astronauten den Frachter schließlich mit dem Roboterarm einfangen und zu seiner Andockstelle bugsieren. Etwa 8,5 Stunden soll das Manöver dauern - deutlich länger als bei den russischen Sojus-Kapseln und beim europäischem Frachter ATV, die selbständig an der ISS festmachen können.

460 Kilogramm Fracht, darunter vor allem Nahrungsmittel, deren Verlust notfalls verschmerzt werden kann, soll Dragon zur Raumstation bringen. Drei Wochen später soll er sich dann - vollgepackt mit 660 Kilogramm nicht mehr benötigter Ausrüstung - auf die Rückreise begeben. An deren Ende wird, sofern alles klappt, eine Wasserlandung im Pazifik stehen.

Erstmals seit dem Ende des Shuttle-Programms im vergangenen Jahr hätten Raumfahrtmanager damit wieder die Möglichkeit, Fracht von der ISS zur Erde zu bringen, denn die europäischen und japanischen Raumfrachter ATV und HTV verglühen beim Wiedereintritt, und in der engen russischen Sojus-Kapsel ist unter den Sitzen der Kosmonauten lediglich Platz für 50 Kilogramm Material.

Bewährt sich Dragon, könnte Spacex von der Nasa mit dem Transport von Astronauten beauftragt werden. Die erste Mission könnte 2017 starten. "Angesichts unseres gegenwärtigen Budgets ist eine weitere Verzögerung aber durchaus denkbar", räumt Nasa-Chef Bolden ein.

Für die westlichen Partnernationen der ISS ist das ein Problem. Seit dem Ende der Shuttle-Missionen sind sie auf Mitfluggelegenheiten in russischen Sojus-Kapseln angewiesen - ein Pendeldienst, den sich die Russen teuer bezahlen lassen: Etwa 53 Millionen Dollar werden aktuell für jedes Ticket fällig, Training und Raumanzug inbegriffen.

Der Preis ist allerdings nicht das größte Problem, sondern die Abhängigkeit von einem einzigen Transportsystem. Deutlich niedriger dürften die Preise bei Spacex und anderen Privatunternehmen jedenfalls auch nicht ausfallen. "Derzeit kalkulieren wir mit Kosten in der gleichen Größenordnung wie bei den Russen", sagt Charles Bolden. "Aber vielleicht werden wir ja positiv überrascht."

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Quelle:
SZ vom 04.05.2012
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