Süddeutsche Zeitung

Paläontologie:Warum Giraffen einen so langen Hals haben

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In heftigen Balzkämpfen rangen die Vorfahren der heutigen Giraffen um Sexualpartner. Das könnte zur Entwicklung der langen Hälse der Tiere beigetragen haben.

Von Lukas Lorber

Der lange Hals der Giraffen gilt bis heute als Paradebeispiel für evolutionäre Anpassung an Lebensumstände - perfekt entwickelt, um Blätter in Baumwipfeln zu ernten. Doch nun stellt eine internationale Forschergruppe diese so einleuchtende These infrage. Im Wissenschaftsjournal Science argumentiert das Team um den Paläontologen Shi-Qi Wang von der chinesischen Akademie der Wissenschaften, dass unter den Vorfahren der modernen Giraffe Rivalen ihre Köpfe zusammengeschlagen haben. Darauf deuten die Untersuchungen von Überresten der bislang unbekannten Früh-Giraffe Discokeryx xiezhi hin, die vor 17 Millionen Jahren gelebt haben soll.

Die Analyse zeigt, dass diese Tiere eine scheibenförmige Kopfplatte hatten, die Ähnlichkeiten mit einem Helm aufwies. Laut den Forschern soll das Fossil die komplexesten Gelenke im Kopf- und Halsbereich haben, die man von Säugetieren bislang kennt. Außerdem zeigte eine Analyse des Zahnschmelzes des Fossils, dass Discokeryx xiezhi wohl eine andere Ernährungsnische nutzte als andere Pflanzenfresser dieser Zeit.

Laut Wang und seinem Team sei die besondere Kopf-Hals-Morphologie sehr nützlich in einem "extremen Kopfstoßverhalten" während Balzkämpfen zwischen Rivalen gewesen. Das wäre ein Indiz für eine weitere Theorie zur Entstehung der langen Giraffenhälse.

Diese stammt von den Zoologen Robert Simmons und Lue Scheepers aus dem Jahr 1996 und besagt eben, dass Balzkämpfe der Giraffen für die Entwicklung der Hälse verantwortlich sind. Wenn männliche Giraffen gegeneinander kämpfen, schwingen sie ihren Hals wie eine Schleuder, um dem Gegner dadurch Schaden zuzufügen. Auch hier gilt, genauso wie bei der Blatt-fress-Hypothese, wieder die Devise: Wer mit einem längeren Hals ausgestattet ist, hat die besseren Chancen - nicht nur um den Kampf zu gewinnen, sondern im Anschluss auch, um sich fortzupflanzen und die Erbanlagen für den eigenen langen Hals an die Nachfahren weiterzugeben.

Die Analyse des Discokeryx xiezhi könnte demnach ein Hinweis sein, dass die Evolution des Halses von Giraffen vielleicht komplexer war als bisher angenommen. Denn der "Kopfstoß-Schädel" und der angepasste Hals des Giraffenvorgängers seien so gut für ein klassisches Kopfstoßverhalten eines Tieres optimiert, wie bei keinem anderen Wirbeltier in der Evolution, schreibt die Gruppe um Wang in Science. Die Ergebnisse zeigen, dass die sexuelle Selektion für die Länge der Giraffenhälse mitverantwortlich sein könnte.

"Die gängige Vorstellung, dass sich die langen Hälse im Verlauf der Evolution nur entwickelten, weil die Tiere damit Blätter im oberen Bereich der Bäume erreichten, greift womöglich zu kurz", sagt Ko-Autorin Manuela Aiglstorfer vom Naturhistorischen Museum Mainz und der Landessammlung für Naturkunde Rheinland-Pfalz. "Womöglich ist das nur ein Nebeneffekt und die Kampfstrategie der vorrangige Grund für die Entwicklung des langen Halses."

Das macht eine Antwort auf die Frage "Warum haben Giraffen so lange Hälse?" nicht einfacher. Ein gutes Beispiel für evolutionäre Anpassung an extreme Anforderungen des Lebens wäre der Giraffenhals allerdings noch immer. "Unsere Untersuchung ergab nicht, dass es keinen Zusammenhang zwischen Halslänge und Ernährung gibt", sagt Aiglstorfer. "Aber wir zeigen, dass es bei Wiederkäuern eben auch andere bedeutende Einflüsse geben kann, die die Struktur der Halswirbelsäule beeinflussen."

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