Süddeutsche Zeitung

Möglicher Fund der Santa María:Das Ei des Kolumbus

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Ein amerikanischer Meeresarchäologe glaubt, Überreste der "Santa María" aufgespürt zu haben. Spanische Wissenschaftler halten das für Humbug. Die Frage ist: Wer hat recht?

Von Peter Burghardt

Die Reise, mit der Christoph Kolumbus die Welt veränderte, war eine legendäre Irrfahrt. Der Italiener in Spaniens Diensten wollte nach Ostasien segeln, Richtung Indien. Doch er traf zufällig auf Amerika, wofür ihm die Nachfahren unterdrückter und massakrierter Indianer weniger dankbar sind als Migranten und Urlauber. Am 3. August 1492 stach der Entdecker in Palos de la Frontera in See und erreichte am 12. Oktober 1492 die heutigen Bahamas. Seine Flotte bestand aus seinem Flaggschiff Santa María sowie den kleineren Begleitern Niña und Pinta. An Weihnachten des Debüts gab es allerdings ein Problem. Da begann eine neue Odyssee, die gut 500 Jahre danach gerade einen weiteren Höhepunkt erreicht.

Am 25. Dezember 1492 lief die Santa María vor einem Eiland auf Grund, das den Namen Hispaniola bekam. Mittlerweile gehört ein Teil der Landmasse Haiti und der andere der Dominikanischen Republik. An der haitianischen Nordküste also steuerte ein offenbar unerfahrener Matrose den Dreimaster gegen ein Riff oder eine Sandbank und brachte den Kapitän zur Verzweiflung. Es folgte die Evakuierung von Crew (Kolumbus und 39 Mann) und Equipment. Aus dem Holz des Havaristen baute die Besatzung das Fort La Navidad, Weihnachten, nachher ging es mit den restlichen Booten zurück nach Andalusien. "Nicht ein Nagel" sei von der Santa María im Meer geblieben, erläuterte der spanische Meeresarchäologe Carlos León der Zeitung El País. Doch nun will ein Kollege Reste gefunden haben.

"Mount Everest des Schiffbruchs"

Der US-Forscher Barry Clifford gab jetzt bekannt, dass er auf Teile des berühmten Wracks gestoßen sei. Und zwar exakt dort, wo die Santa María damals verunglückt sei, unweit von Haitis Hafenstadt Cap-Haitien. Bereits 2003 habe er mit seinem Sohn Brandon in seichten Gewässern die Relikte fotografiert, darunter eine Kanone aus dem 15. Jahrhundert und Steine aus Spanien oder Portugal, die als Ballast gedient hätten. Bei weiteren Tauchgängen sei die Kanone dann verschwunden, doch an der Echtheit bestehe nach seinen neuen Erkenntnissen kein Zweifel. "Jedes Stück passt", berichtete Clifford dem Sender CNN, nachdem die englische Zeitung The Independent den vermeintlichen Coup gemeldet hatte. Er sei angesichts der plötzlichen Gewissheit nachts aufgewacht und habe sich gedacht: "Oh, mein Gott!" Ein Raunen ging durch die Welt. Taucht die seit Urzeiten verschwundene Santa María auf?

Wenn es stimmt, dann wäre dies nicht weniger als eine historische Sensation. "Das ist das Schiff, das die Menschheitsgeschichte verändert, der Mount Everest des Schiffbruchs", verkündete Barry Clifford, er hängt die Latte PR-mäßig gleich recht hoch. "Wenn derjenige, der die Santa María entdeckt hat, das beweisen kann, dann wäre das wie auf den Heiligen Gral zu stoßen", sagte Kevin Crisman von der meeresarchäologischen Fachabteilung der Universität von Texas der Agentur AP. Es handelte sich immerhin um die Mutter aller Expeditionen, Europas endgültigen Zugriff auf den amerikanischen Kontinent. Bald ergoss sich eine Flut von Zweifeln über die Nachricht. Kann das wirklich sein?

Die größte Welle des Unglaubens rollt aus Spanien heran, dem einstigen Auftraggeber der Kolumbus-Tour. "Wir Archäologen sind wie Ärzte", erläutert der Experte Carlos León. "Wir können keine Diagnose geben, ohne Beweise zu haben." Nach Ansicht der Skeptiker fehlen die, außerdem spreche allerhand dagegen. Für den Spezialisten Miguel Aragón ist es "extrem unwahrscheinlich", dass die mutmaßlichen Funde der Santa María zugeordnet werden könnten. Und sehr wahrscheinlich, dass es sich um eine Verwechslung handle.

Das gehe schon damit los, dass sich Haitis Ufer unterdessen verschoben und das Meer leicht zurückgedrängt habe. Man müsse also an Land ausgraben. Aragón leitete bis vor einigen Jahren die Abteilung für versunkene Meeresschätze der spanischen Marine, der Armada. Und davon gibt es einige, besonders in dieser karibischen Region. In einer Studie 2012 wurden 1580 Unglücke weltweit dokumentiert, mehr als ein Viertel davon in der Gegend von Haiti, Dominikanischer Republik und Kuba, einem Paradies der Glücksritter. Hunderte spanische Schiffe lägen dort. Außerdem glauben Kritiker, dass das meiste Material der Santa María seinerzeit für diese improvisierte Festung verwendet worden und das Holz ohnehin verwittert sei. Zu der langen Zeit kämen das warme Wasser und das tropische Klima.

Die Geschichte erinnert an die ewige Fahndung nach El Dorado, von dem auch immer mal wieder Spuren auftauchen. An überspülte und überwucherte Rätsel also. Doch Barry Clifford, 68, ist überzeugt davon, dass er richtig liegt. Der Routinier hat einen Ruf zu verteidigen: Zum Beispiel spürte er 1984 vor Cape Cod, Massachusetts, die Whydah auf, einen vormaligen Sklaventransporter und nachmaligen Piratensegler. Clifford will auch bei der Adventure Galley des Freibeuters William Kidd vor Madagaskar fündig geworden sein, er scheint ein spannendes Leben zu führen. Unterstützt werden seine Vorstöße in die Tiefe der Ozeane und der Historie von Medien und Sponsoren wie Discovery Channel oder National Geographic Channel. Die Schatzsuche ist eine blühende, wenngleich teure, meistens mühsame und zuweilen frustrierende Industrie. Nicht immer hält man plötzlich Golddukaten in den Händen. Wobei die Firma Odyssey Marine Exploration aus Florida der SS Gairsoppa aus dem Zweiten Weltkrieg erst vor zwei Jahren Silber im Wert von umgerechnet 183 Millionen Euro entlocken konnte.

"Ein Schlaglicht auf die Geburt Amerikas"

Bei der Santa María ist nur Ruhm und Ehre zu holen, auch Haiti ist interessiert an dem Fall. Zwar lagert in einem Museum von Port-au-Prince der angebliche Anker des Christoph Kolumbus. Spätestens nach dem Erdbeben 2010 mit mehr als 200 000 Toten indes liegt das ärmste Land der westlichen Hemisphäre in Trümmern. Dazu kommen periodische Wirbelstürme, politische Unruhen und eine Cholera-Epidemie, die ausgerechnet UN-Friedenstruppen eingeschleppt hatten. Die haitianische Regierung sei sehr hilfreich, lobt Barry Clifford. Mit Genehmigung der Behörden werde er mit der detaillierten Suche im Boden beginnen. Das könnte dem nationalen Versuch nützlich sein, den Tourismus zu stärken. Bislang kommt trotz blendend weißer Strände nur gelegentlich ein Kreuzfahrtriese der Luxusklasse vorbei, die Urlauber fliegen lieber nebenan in die Domrep.

Am Mittwoch stellte Clifford seine Erkenntnisse in New York vor. "Die geografische Evidenz" weise darauf hin, dass es sich um die Santa María handle, hatte er immer wieder betont. Der Amerikaner will "durch den ganzen archäologischen Prozess gehen", was die internationale und vorneweg spanische Expertenfront auch von ihm verlangt. Obendrein dürfte Spanien Ansprüche an etwaigen Funden anmelden. Der Fachmann Charles Beeker glaubt Clifford, er hat sich seine Entdeckung angeschaut. Der Brite Sean Kingsley sagt, das könne ein Schlaglicht auf "die Geburt Amerikas" werfen. Ureinwohner sehen das mit der Geburt Amerikas anders, aber das ist eine andere Geschichte.

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Quelle:
SZ vom 15.05.2014
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