Süddeutsche Zeitung

Lebensmittelskandal in China:Anschein bleicher Frische

Lesezeit: 2 min

Gedünstet, in der Suppe oder als Snack: Hühnerfüße sind in China äußerst beliebt. Jetzt wurden Krallen zum Verzehr angeboten, die in Wasserstoffperoxid mariniert waren. Die Wut über solche Lebensmittelskandale wächst.

Von Kai Strittmatter, Peking

Es ist nicht so, dass in Deutschland keine Hühnerfüße zum Verzehr angeboten würden, bloß laufen sie hier unter "knackig-knuspriger Hundekauartikel". In China hingegen kaut der Mensch, und zwar mit Leidenschaft. Als "Phönixkrallen" findet man sie in der Suppe, im Dim-Sum-Körbchen, gedünstet in Schwarze-Bohnen-Soße oder aber in Plastik eingeschweißt als einer der beliebtesten Snacks für unterwegs.

Als deshalb am Dienstag die Nachricht die Runde machte, die Behörden hätten nach provinzübergreifenden Razzien in neun Fabriken 30 000 Tonnen Hühnerfüße beschlagnahmt, weil diese rezeptwidrig in Wasserstoffperoxid mariniert worden waren, da war das Aufstöhnen in Chinas sozialen Netzwerken groß. In die Empörung mischt sich eine Portion Resignation: "Kann uns mal einer zur Abwechslung eine Liste der Dinge machen, die man überhaupt noch essen kann?", schrieb einer.

Lebensmittelskandale von Reis über Fisch bis hin zu Tee

Chinas Esser sind ein geschlagener Haufen. Nirgendwo isst man so gut und so gern, und nirgendwo wird es einem seit ein paar Jahren so verleidet: Melanin im Milchpulver, Kadmium im Reis, Malachit in den Meeresfrüchten, Antibabypillen im Fisch, Blei im Tee, Aldicarb im Ingwer, landesweit recyceltes Speiseöl aus dem Gulli - wer seinen Appetit behalten möchte, der schaut am besten nicht mehr in Zeitung oder Internet.

Gegen all die Kreationen aus den Chemielabors wirkte das Gammelfleisch in Chinas McDonalds-Filialen, das jüngst die Schlagzeilen beherrschte, noch naturbelassen. Das jetzt aus dem Verkehr gezogene Wasserstoffperoxid, weiß Wikipedia, sei in hochkonzentrierter Form "als Komponentenraketentreibstoff einsetzbar", verdünnt verlieh es den beschlagnahmten Hühnerfüßen jenen Anschein bleicher Frische, der ihnen offenbar von Natur aus abging.

Öfter mal "die Gifte wechseln", empfiehlt ein Sachbuch

Zu Anfang jeden Jahres veröffentlicht Chinas Führung das "Zentrale Dokument Nr. 1", eine Art politischen Wegweiser fürs neue Jahr. Es war kein Zufall, dass es in diesem Jahr die Lebensmittelsicherheit an die Spitze dieser Liste schaffte: Das Thema treibt die Leute um, vor allem die städtische Mittelschicht. Immer mehr fragen sich, warum die Reihe der Skandale nicht abreißt und ob das vielleicht mit der mangelnden Transparenz in China zu tun hat, mit mangelnder Überwachung durch unabhängige Medien und Justiz. Die KP will zeigen, dass sie aktiv ist, im vergangenen Jahr nahm sie fast 14 000 Verdächtige fest, unter ihnen einen, der aus der Gosse gefischtes billiges "Gulli-Öl" für mehr als 100 Millionen Yuan (12,3 Millionen Euro) an Restaurants verkauft hatte.

Wer es sich leisten kann, dazu kleine Kinder hat, der kauft vornehmlich Importiertes. Biogemüse boomt. "Aber woher soll ich wissen, dass das nicht auch gefälscht ist?", klagt ein Pekinger Banker. Gegen eines können auch Biobauern wenig ausrichten: Nach Jahren unkontrollierten Wirtschaftswachstums ist ein großer Teil von Chinas Erde und Wasser verseucht mit Schwermetallen und anderen Giften. Der Shanghaier Aktivist Wu Heng veröffentlichte soeben ein Buch zur Lebensmittelkrise: "Schmeiß es zum Fenster raus". Wu Heng hat sich seine Version einer ausbalancierten Diät erdacht. Sein - ernst gemeinter - Tipp: Nicht zu viel vom Gleichen essen, öfter mal "die Gifte wechseln".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2104511
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.08.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.