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Informatik:Was Computer von Ameisen lernen können

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Ameisen benutzen ausgeklügelte Tricks, wenn sie ihre Umgebung erkunden. Sie sind sogar effizienter als so mancher Algorithmus. Das könnte bei der Erforschung von künstlicher Intelligenz hilfreich sein.

Von Julian Rodemann

Wer eine Ameise dabei beobachtet, wie sie scheinbar zufällig über eine Terrasse krabbelt, wird kaum ein intelligentes System dahinter vermuten. Von Algorithmen hingegen, die Gesichter erkennen oder Filme vorschlagen, zeigen sich die meisten Menschen schwer beeindruckt. Doch allzu weit sind diese Welten nicht voneinander entfernt, wie britische Forscher jetzt herausgefunden haben. Mehr noch: Algorithmen können ihrer Studie zufolge einiges von Ameisen lernen.

Wenn Arbeiterameisen nach Futter suchen, hinterlassen sie Spuren und sondern Duftstoffe ab. So kommunizieren sie mit ihren Artgenossen. Die Wissenschaftler wollten genauer wissen, wie Ameisen auf diese Signale reagieren - und ob dahinter ein System steckt.

Dazu entführten sie einige Exemplare der europäischen Spezies Temnothorax albipennis aus Felsspalten, deren natürlichem Lebensraum. Die nur knapp drei Millimeter großen Tiere zogen in ein künstliches Nest im Labor um, aus dem die Forscher nach und nach jeweils eine Arbeiterameise entließen. Eine Dreiviertelstunde lang hatte jedes Tier Zeit, um auf einer knapp ein Quadratmeter großen Fläche allein nach Futter zu suchen. Anschließend wurde es auf einen separaten Teller gesetzt.

Auch Computer gehen auf Futtersuche

Das ganze Prozedere wiederholten die Forscher wenig später - mit einem Unterschied: Diesmal reinigten sie die Fläche immer, bevor sie eine neue Ameise auf Futtersuche schickten. Die Spuren und Duftstoffe ihrer Vorgänger gingen so verloren - und damit auch die kollektive Fähigkeit, die Umgebung effizient auszukundschaften.

Die erste Gruppe von Ameisen hatte die Fläche viel gleichmäßiger abgesucht: Die Ameisen mieden Stellen, an denen ihre Artgenossen schon gesucht hatten. Ob das an bewusst abgesetzten Duftstoffen oder unbewusst hinterlassenen Fußspuren liegt, konnten die Forscher nicht klären. Fest steht jedoch, dass sich Ameisen auf ein kollektives Gedächtnis verlassen - nicht untypisch für Superorganismen, also Verbände von Organismen, die zusammen mehr können als allein.

Auf den ersten Blick hat dieses ausgeklügelte System wenig mit Algorithmen zu tun. Doch wenn Computer zufällig Lösungen für ein Problem ausprobieren, begeben sie sich im Grunde ebenfalls auf Futtersuche. Sie drehen an einer Vielzahl von Stellschrauben, also Parametern, und finden heraus, welche davon günstig sind. Nicht umsonst sprechen Statistiker davon, dass Algorithmen Parameterräume absuchen. Oft lässt es sich dabei nicht vermeiden, dass dieselbe Konstellation mehrfach ausprobiert wird. Hier sind die Ameisen den Computern voraus: Sie markieren Stellen, an denen sie schon waren, mit Fußspuren oder Duftstoffen.

Tierische Intelligenz als Vorbild für künstliche Intelligenz

Die Studie erschien im Journal of The Royal Society Interface - einer Fachzeitschrift, die sich besonders den Schnittstellen verschiedener Wissenschaftsgebiete widmet. Das interdisziplinäre Forscherteam modellierte das Suchverhalten der Ameisen mathematisch und konnte zeigen, dass sie schneller fündig werden als ein sehr populärer menschengemachter Konkurrent, der sogenannte Metropolis-Hastings-Algorithmus. Er wird in der bayesianischen Statistik benutzt, wo typischerweise mithilfe von Vorwissen der Suchraum eingegrenzt wird. In letzter Zeit setzen ihn Entwickler immer öfter auch im maschinellen Lernen ein, einem sehr erfolgreichen Teilgebiet der künstlichen Intelligenz.

Einen Nachteil habe der Ameisen-Algorithmus aber, schreiben die Wissenschaftler. Er brauche etwas mehr Speicherplatz als der Metropolis-Hastings-Algorithmus. Für Ameisen scheint das allerdings kein großes Problem zu sein: Sie müssen ihr Gedächtnis schließlich nicht, wie Menschen oder die meisten Computer, mit sich herumtragen. Stattdessen speichern die Insekten ihr Wissen direkt dort, wo es gebraucht wird.

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