Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:Waldbrände könnten der Ozonschicht schaden

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Messdaten vom Forschungsschiff "Polarstern" deuten darauf hin, dass Rauch aus Waldbränden in ungeahnte Höhen zieht. Möglicherweise bringt die Erderwärmung so die Ozonschicht in Gefahr.

Von Paul Voosen

Vor zwei Jahren schoss die Besatzung des Forschungsschiffs Polarstern einen grünen Laser in die Nacht. Das reflektierte Licht des Strahls sollte Forschern helfen, eisige Winterwolken zu untersuchen. Stattdessen traf der Strahl etwas Unerwartetes: eine kilometerdicke Schicht von Partikeln in der Stratosphäre, in mehr als sieben Kilometern Höhe. Wie die Forscher später feststellten, handelte es sich um Rauch von riesigen Waldbränden, die in jenem Sommer in Sibirien gewütet hatten.

Der Rauch war mehr als nur ein Kuriosum. Im März 2020, als der sibirische Rauch noch immer vorhanden war, erreichten die Ozonwerte in der Arktis ein Rekordtief - nach antarktischen Maßstäben zwar kein "Loch", aber doch ein beunruhigend niedriger Wert. Obwohl die Untersuchung noch lange nicht abgeschlossen ist, scheint es wahrscheinlich, dass der Rauch zum Ozonabbau beigetragen hat, sagt Kevin Ohneiser, Doktorand am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (Tropos). Ähnliche Entwicklungen gab es in den vergangenen zwei Jahren in der Antarktis nach den australischen Rekordbränden des "Schwarzen Sommers", als mehr als eine Million Tonnen Rauch in die Stratosphäre gelangte.

Die Ergebnisse, die Ohneiser und seine Kollegen letzten Monat in der Fachzeitschrift Atmospheric Chemistry and Physics veröffentlicht haben, deuten darauf hin, dass der Klimawandel unerwartete Auswirkungen auf die Atmosphärenchemie haben könnte: Demnach dringt der Rauch von immer größeren Waldbränden in die Stratosphäre ein, eine ruhige, isolierte Schicht über der Troposphäre. Dort angekommen, zersetzt er möglicherweise die Ozonschicht, die schädliche UV-Strahlung abschirmt. "Bis vor Kurzem wurden die globalen Auswirkungen des Rauchs als gering eingeschätzt", sagt Catherine Wilka, Stratosphärenchemikerin an der Stanford University. Jetzt entwickele er sich zu einem neuen Grenzgebiet der Klimaforschung.

Der "Selbstaufstieg" von Rauch in die Stratosphäre ist umstritten

"Das ist wirklich neu", sagt Omar Torres, ein Fernerkundungswissenschaftler am Goddard Space Flight Center der Nasa. Seit den späten 1970er-Jahren sind Satelliten in der Lage, Rauchpartikel zu verfolgen. Diese sind vom Weltraum aus leicht zu erkennen, da sie UV-Licht stark absorbieren. Bis 2017 lieferten Satelliten jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass Rauch in nennenswerter Menge in die Stratosphäre eindringt, sagt Torres.

Der Rauch in der Arktis ist besonders besorgniserregend, weil er dort völlig unvermutet auftauchte. "Alle dachten, die Arktis wäre wirklich sauber", sagt Ohneiser, denn es entladen sich dort keine Gewitter, die Schadstoffe in die Stratosphäre treiben können. Die heftigsten Waldbrände auf der Erde, wie jene in Australien, können gewaltige Sturmsysteme erzeugen, die wie Vulkane Material in die Stratosphäre pumpen. Doch während Sibirien brannte, war es in einer Hitzewelle und einem Hochdrucksystem gefangen, das die konvektiven Aufwinde, die von großen Stürmen ausgehen, erstickte. Der Rauch muss auf einem anderen Weg in die Stratosphäre gelangt sein.

In einem noch nicht veröffentlichten Modell versucht die Tropos-Gruppe zu erklären, wie der Rauch in der Region so hoch aufsteigen konnte. Dabei berufen sich die Forscher auf eine jahrzehntealte Theorie, die als "Selbstaufstieg" bezeichnet wird. Das Modell besagt, dass die dunklen Rauchpartikel das Sonnenlicht so effektiv absorbieren, dass sie die sie umgebende Luft schnell erhitzen und der Rauch dadurch aufsteigt. Nach nur wenigen Tagen könnte dieser Prozess den Rauch zehn Kilometer über den Boden gehoben haben, wo er dann von Winden in die niedrige arktische Stratosphäre getragen werden konnte. Der Nasa-Lasersatellit Calipso habe bei Überflügen über die sibirischen Brände Rauchfahnen bemerkt, die aus vier bis zehn Kilometern Höhe aufzusteigen schienen, so Ohneiser.

Die Idee des Selbstaufstiegs, der in der Troposphäre nie dokumentiert wurde, ist umstritten. In der kleinen Welt der Feuersturm- oder "Pyrocumulonimbus"-Forschung (pyroCB) "hat sich irgendwie die Vorstellung durchgesetzt, dass Rauchaerosole nur durch direkte Injektion in die Stratosphäre gelangen können", sagt Torres. Er hatte den Selbstauftrieb als Weg identifiziert, wie der Rauch der Brände in British Columbia 2017 die Stratosphäre erreichte. "Aber die Beobachtungen zeigen, dass dies auch dann geschieht, wenn wir keine PyroCBs haben."

Andere sind davon nicht überzeugt. Michael Fromm, ein PyroCB-Forscher am U.S. Naval Research Laboratory, bezeichnet dies als eine "außergewöhnliche Behauptung", die solidere Beweise erfordere. Seiner Meinung nach ist es unwahrscheinlich, dass der Rauch ohne den zusätzlichen Schub eines Feuersturms die Tropopause durchdringt, eine Grenze, die zur Isolierung der Stratosphäre beiträgt. Fromm glaubt, dass es sich bei den meisten arktischen Partikeln nicht um Rauch, sondern um Sulfataerosole vom Raikoke handelt. Dieser Vulkan südwestlich der russischen Halbinsel Kamtschatka schleuderte 2019 Gas und Asche in die Stratosphäre. Der Wissenschaftler weist darauf hin, dass Calipso nicht zwischen Rauch und Sulfaten unterscheiden kann.

Doch Ohneiser und seine Kollegen bleiben bei ihrer Ansicht. Ihr fortschrittliches Messinstrument Lidar misst die Lichtabsorption und -reflexion bei zwei verschiedenen Wellenlängen. Beobachtungen der australischen Brände mit demselben Instrument zeigten, dass Rauchpartikel eine unverwechselbare Signatur aufweisen. Dies sind "eindeutige optische Fingerabdrücke von Waldbrandrauch", sagt Ohneiser. "Es gibt keinen Raum für andere Interpretationen." In der Studie sieht das Tropos-Team zwar Sulfatpartikel aus dem Raikoke, aber sie bilden eine dünne Schicht weiter oben in der Stratosphäre.

Wenn der Rauch erst einmal in der Stratosphäre ist, "besteht durchaus die Möglichkeit", dass er Ozon abbaut, sagt Jessica Smith, Atmosphärenchemikerin an der Harvard University. Der polare Ozonabbau liegt an Chlor, das sich noch immer in der Stratosphäre hält und von Fluorchlorkohlenwasserstoffen und anderen Schadstoffen stammt, obwohl diese schon vor Jahrzehnten verboten wurden. Das Chlor greift im Winter an, wenn sich in der Stratosphäre dünne, schillernde Wolken bilden. Ihre Tröpfchen bieten eine Oberfläche für chemische Reaktionen, bei denen freie Chlorradikale entstehen, die sich durch das Ozon fressen. Smith zufolge könnten Rauchpartikel den Ozonabbau fördern, indem sie die Bildung dieser Wolken begünstigen und sie mit kleineren Tröpfchen versorgen. Die Rauchpartikel könnten auch mit Chemikalien wie Sulfaten beschichtet sein, die infolge einer Reaktion mit Chlor Ozon abbauen könnten. Oder der Rauch könnte auf irgendeine Weise die Winde des so genannten Polarwirbels verstärken, auf diese Weise die Pole abkühlen und den Abbau verstärken.

Der Einfluss des stratosphärischen Rauchs ist nicht zwingend auf die Pole beschränkt. In den mittleren Breiten liegt die Stratosphäre viel höher und ist theoretisch besser vor Verschmutzung geschützt. Aber wenn sich die Waldbrände verschlimmern, so Wilka, könnte der Rauch sogar eine Chance haben, die Ozonschicht über den mittleren Breiten, wo der Großteil der Weltbevölkerung lebt, zu reduzieren - ähnlich wie es der Vulkanausbruch des Pinatubo 1991 tat. Wenn man genug Rauch und andere Partikel dort hinaufschickt, so Wilka, "kann man diese Chemie durchaus in Gang bringen".

Dieser Beitrag ist im Original im Wissenschaftsmagazin Science erschienen, herausgegeben von der AAAS. Deutsche Bearbeitung: cvei

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