Süddeutsche Zeitung

Klimakrise:Bisherige Klimaschutz-Zusagen lassen 2,7 Grad Erwärmung befürchten

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Laut einer aktuellen UN-Bilanz reichen die Zusagen der Staaten im Rahmen des Paris-Vertrags bei Weitem nicht aus: Zum Ende des Jahrzehnts könnten die Emissionen 16 Prozent höher liegen als 2010.

Von Michael Bauchmüller und Marlene Weiß

Weltweiter Klimaschutz, basierend auf nationalen Plänen, die regelmäßig nachgebessert werden - so sieht es der Klimavertrag von Paris vor. Eigentlich funktioniere das System ja, sagt Patricia Espinosa, die Chefin des UN-Klimasekretariats. 113 Staaten haben neue Pläne vorgelegt, wie sie im Kampf gegen die Erderwärmung weiter vorgehen wollen. 70 davon peilen die Klimaneutralität an. "Das ist die gute Seite", sagt Espinosa am Freitag, als sie den neuesten Bericht über die nationalen Pläne vorlegt. "Aber während wir in einigen Staaten Fortschritte machen, gehen die Treibhausgasemissionen in die falsche Richtung."

Den Berechnungen zufolge steigen sie weiter an, bis 2030 könnten sie um 16 Prozent über denen des Jahres 2010 liegen. Laut den jüngsten Ergebnissen des Weltklimarats IPCC würde die Welt sich damit in Richtung von etwa 2,7 Grad Erwärmung bewegen, viel mehr als eigentlich vereinbart. Die Welt entfernt sich vom Klimaziel, statt sich ihm zu nähern. "Das bricht das Versprechen von vor sechs Jahren, das 1,5-Grad-Celsius-Ziel des Paris-Abkommens zu verfolgen", sagte UN-Generalsekretär António Guterres. Jedes Versagen werde "im massiven Verlust von Leben und Lebensgrundlagen gemessen".

Selbst jene Staaten, die neue Pläne vorgelegt haben, kommen in der Projektion nur auf einen Rückgang der Emissionen um zwölf Prozent bis 2030. Um allerdings die Erderwärmung bei 1,5 Grad Celsius zu stabilisieren, müsste der Rückgang nach Zahlen des IPCC bei 45 Prozent liegen. Selbst für einen Erwärmungsstopp bei zwei Grad wäre ein Minus von 25 Prozent nötig; doch allenfalls jene Staaten, die wie die EU Klimaneutralität erreichen wollen, liegen dafür im Plan.

Auch die Klimaschutz-Hilfen für Entwicklungsländer liegen noch weit hinter dem Plan

Der Bericht dient vor allem der Vorbereitung der Klimakonferenz in Glasgow Anfang November. Eigentlich sollen bis dahin alle Staaten neue Pläne vorlegen, doch aus Ländern wie China und Indien fehlt jede Spur davon. Einige Entwicklungsländer wiederum knüpfen den Klimaschutz an Hilfen aus der entwickelten Welt. Doch auch an dieser Front gibt es an diesem Freitag schlechte Nachrichten.

Denn von jenen 100 Milliarden Dollar, die das Klimaabkommen von Paris den Entwicklungsländern jährlich zugesagt hatte, sind die Industrieländer immer noch mehr als 20 Milliarden Euro entfernt. Das geht aus einem neuen Bericht hervor, den die Industrie- und Schwellenländergruppe OECD am Freitag vorgelegt hat. Demnach flossen im Jahr 2019 insgesamt 79,6 Milliarden Dollar an öffentlichen und privaten Klimaschutz-Mitteln in den Topf. Das sind nur zwei Prozent mehr als im Jahr zuvor. Schlimmer noch: Dieser Zuwachs kam nur durch multilaterale Entwicklungsbanken zustande. Die bilateralen Zusagen von Staaten gingen zurück, ebenso die dadurch angestoßenen privaten Investitionen. Auch neue Zusagen, wie durch Deutschland, Großbritannien und die USA, konnten den Rückgang nicht verhindern.

"Enttäuschend" sei das, sagte OECD-Generalsekretär Mathias Cormann. Zwar lägen erst Anfang kommenden Jahres Zahlen für 2020 vor. Es sei aber schon jetzt klar, dass die Mittel hinter dem Ziel zurückblieben. Erst kürzlich war der deutsche Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth beauftragt worden, sich der Milliardenlücke zusammen mit Kanadas Umweltminister Jonathan Wilkinson anzunehmen - bis zur Klimakonferenz. Sollte das nicht gelingen, könnte das zur Belastung der Konferenz werden. "Es geht um eine zentrale Frage des Vertrauens", sagte UN-Generalsekretär Guterres.

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