Süddeutsche Zeitung

Interview am Morgen: Bienensterben:"Jedes Insektizid könnte sich als schädlich für Bienen herausstellen"

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Der Ruf nach einem Verbot von Neonicotinoiden ist laut. Nur: Was kommt danach? Fragen an die Biologin Alexandra-Maria Klein.

Interview von Felix Hütten

Heute entscheidet die EU-Kommission in Brüssel über ein Freilandverbot einiger hochwirksamer Insektizide. Die sogenannten Neonicotinoide stehen im Verdacht, Bienen zu lähmen oder sogar zu töten. Diese Insektenvernichtungsmittel werden von Bauern europaweit gegen Schädlinge eingesetzt. Doch wie gefährlich sind diese Substanzen tatsächlich für unser Ökosystem? Und welche Alternativen haben Landwirte, sollte es zu einem Verbot kommen? Fragen an Alexandra-Maria Klein, Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie an der Universität Freiburg.

SZ: Verbraucher, Landwirte und Politiker debattieren heftig über das Verbot sogenannter Neonicotinoide. Nur: Über was reden wir hier eigentlich?

Alexandra-Maria Klein: Neonicotinoide sind kein einzelner Stoff, sondern umfassen eine Stoffklasse der Insektizide, die alle synthetisch hergestellt werden. Landwirte verteilen diese auf ihren Feldern, um die Ernte von Schädlingen zu schützen. Ihre Wirkung ist immer ähnlich: Sie greifen die Nervenzellen von Insekten an und blockieren die lebenswichtige Reizleitung. In der Verbotsdebatte geht es vor allem um die drei am besten untersuchten und wohl auch für Bienen schädlichsten Stoffe Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid.

Wenn es zum Verbot dieser drei Substanzen kommt: Welche Lösung gibt es für Landwirte, ihre Ernte zu sichern?

Das ist das große Problem, denn irgendwas werden die Landwirte machen müssen. Für manche Pflanzenarten könnten sie auf andere, weniger aggressive Stoffe aus der Klasse der Neonicotinoide zurückgreifen. Nur: Wenn die nicht so stark wirken, muss man sie wieder häufiger einsetzen. Ob das dann für die Umwelt und die Bienen besser ist? Vielleicht stellen manche Landwirte auch auf eine ökologische Landwirtschaft um. Es gibt zudem noch viele weitere Alternativen, zum Beispiel Stoffe, die man vor 60 Jahren schon verwendet hat ...

... und die womöglich ebenso schädlich für Umwelt und Insektenvielfalt sind.

Genau. Studien zu dem Thema müssten daher nicht nur eine Substanz untersuchen, sondern im Idealfall gleich alle. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich jedes Insektizid als schädlich für Bienen herausstellen würde, wenn es denn so intensiv untersucht wird, wie diese drei Stoffe, um die es aktuell geht.

Obwohl die Wirkung von Neonicotinoiden im Labor gut untersucht ist, fehlen noch immer belastbare Daten aus großen Studien auf dem Acker. Woran liegt das?

Für solche Studien bräuchten wir für die Vergleichbarkeit riesige Flächen, auf denen die Insekten auf keinen Fall mit den Stoffen in Berührung kommen. Solche Flächen gibt es aber so gut wie nicht. Egal welche Feldstudie wir machen, sie wird immer angreifbar sein. Es ist also schwierig für uns Wissenschaftler, ideale Forschungsbedingungen zu erzeugen. Zudem wären solche Studien unglaublich teuer.

Ist es aber seriös, ohne solche Daten ein Verbot zu erlassen? Es geht hier immerhin um die Existenz von Landwirten in ganz Europa.

Jede Studie hat Einschränkungen, es bleiben immer Fragen offen, und die werden wir auch in diesem Fall haben. Somit ist es in Ordnung, politische Entscheidungen anhand von Experimenten aus dem Labor und eingeschränkten Feldversuchen zu treffen, die es ja vielfach gab. Wir sollten nicht weiter auf das perfekte, nicht angreifbare Feldexperiment warten.

Welche Rolle spielen wir, die Verbraucher?

Die Verbraucher könnten verstärkt ökologisch produzierte Lebensmittel einfordern und Produkte ablehnen, die in Verbindung mit Pflanzenschutzmitteln stehen. Aber dann müssen wir als Gesellschaft auch die Konsequenzen tragen, also akzeptieren, dass zum Beispiel in Äpfeln auch mal ein Wurm drin ist.

Der Wurm ist wohl auch in der Verbotsdebatte drin. Was ist Ihre persönliche Meinung?

Ich würde mir tatsächlich ein Verbot wünschen, damit das Thema näher an die Verbraucher herankommt, damit die Gesellschaft aufwacht. Allerdings: Wenn man etwas verbietet, ohne eine Alternative zu haben, ist das sehr schwierig. Eine Lösung für die Landwirte wird heute in Brüssel sicher nicht mitgeliefert.

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