Süddeutsche Zeitung

Halali im Harz:Rotwild wird verstärkt bejagt

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Damit in Niedersachsen wieder ein Urwald wächst, müssen Rothirsche sterben. Sonst fressen sie ihre eigene Grundlage weg. Doch die amtlichen Jäger reichen nicht aus, um die "Strecke" zu schaffen.

Ralf Wiegand

Nebel liegt über der Lichtung, auf dem Hochsitz schlägt der Jäger im kühlen Morgengrauen den Kragen hoch - da knackt es verräterisch im Unterholz. Eine Sekunde später erscheint er im fahlen Licht des anbrechenden Tages, der König des Reviers, der Hirsch. Der Jäger atmet durch, legt an, der Schuss bricht, hallt nach vom nahen Waldrand, dann fällt das stolze Tier. Blattschuss.

Bestandsreduktion nennt das der Jäger in seiner Sprache, die fürs Töten viele Wörter kennt, und sehr romantisch ist die moderne Jagd auch nicht. Im Harz dürfte in dieser Saison der Abschuss von Rotwild sogar in puren Stress ausarten: 1750 Tiere und damit mehr als in den letzten Jahren müssen in den Wäldern im niedersächsischen Teil des Mittelgebirges erlegt werden, so hat es der Rotwild-Ring Harz ermittelt, der sich um den Bestand in diesem Revier kümmert.

Vier Forstämter kontrollieren die Population. Doch die amtlichen Jäger reichen nicht aus, um die Strecke zu schaffen, "wir brauchen Unterstützung von privaten Jägern", sagt Michael Rudolph von den niedersächsischen Landesforsten. So darf auch auf etlichen Gesellschaftsjagden zum Halali im Harz geblasen werden.

Die Zahl der Hirsche, Hirschkühe und -kälber im Harz ist zuletzt deutlich gestiegen, von 3500 vor zehn Jahren auf etwa 5000 in diesem Jahr. Zwei milde Winter 2006/07 und 2007/08 sowie verkürzte Jagdperioden wegen früher Frosteinbrüche in den beiden vergangenen Jahren haben die Population steigen lassen. "Außerdem findet das Wild bessere Lebensbedingungen", sagt Rudolph. Damit sich die Tiere ihre Grundlage nicht gleich wieder wegfressen, müssen sie geschossen werden oder, wie der Jäger sagt, "aus der Wildbahn genommen".

Durch den vermehrten Abschuss in der Saison vom 1. Juni bis 31. Dezember schützt Niedersachsen auch seine Investitionen. Allein zwischen 1986 und 1998 ließ das Land im Harz 16 Millionen Laubbäume pflanzen, für damals 45 Millionen Mark. Durch das Walderneuerungsprogramm soll der Harz peu à peu in seine ursprüngliche Form zurückverwandelt werden. Die hat er schon vor mehr als tausend Jahren verloren, als mit der Entdeckung von Bodenschätzen die Industrialisierung des Höhenzugs begann. "Der Harz ist heute durchlöchert wie ein Schweizer Käse", sagt Rudolph.

Für die Errichtung und Absicherung etwa von Minen wurde der ursprünglich zu zwei Dritteln aus Laubbäumen bestehende Urwald abgeholzt und durch schnell wachsende Fichten wieder aufgeforstet. "Die Fichte war der Brotbaum für die Bergindustrie", sagt Rudolph. Der Raubbau am Ökosystem Harz hatte jedoch Folgen: Dem vernachlässigten Lebensraum setzte das Waldsterben zu, die Böden laugten von der Fichten-Monokultur aus, der nicht kontrollierte Wildbestand stieg. In den siebziger Jahren bevölkerte sogar doppelt so viel Rotwild wie heute den Harz, erst danach begann der "Reduktionsabschuss".

Heute versuchen Förster und Jäger gemeinsam, das System Wald vorsichtig auszubalancieren. Nicht nur Fuchs und Hase, sondern auch Luchs und Hirsch sagen sich inzwischen gute Nacht; die wieder angesiedelten Wildkatzen leben schon in zweiter Generation in den dunklen Wäldern. Die Förster setzen neben wirtschaftlich wertvollen Eichen, Buchen und Ahorn auch Birken, Weiden und Ebereschen, extra als Futterpflanzen für das Wild. Der Harzer Hirsch verschont dafür die wertvollen Laubbäume. Seine eigene Schonzeit endet dennoch in acht Wochen.

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SZ vom 04.04.2011
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