Süddeutsche Zeitung

H1N1:"Ich kann nur hoffen, dass hier nie die Pest ausbricht"

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In den Bundesländern regt sich zunehmend Unmut über mangelnden Impfstoff gegen die Schweinegrippe und Pannen bei der Organisation der Impfung.

Die Bundesländer haben nach Angaben des thüringischen Gesundheitsministeriums bislang erst die Hälfte des erwarteten Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix erhalten. Im September seien Liefermengen festgelegt worden, die jedoch nicht eingehalten würden, sagte der Abteilungsleiter im Erfurter Gesundheitsministerium, Heinz Fracke. Thüringen hat derzeit den Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz der Länder inne.

Dieser Darstellung widersprach der Pandemrix-Hersteller Glaxo Smith Kline. Ein Sprecher sagte, das Unternehmen habe den Ländern bei Vertragsunterzeichnung die verbindliche Zusage gegeben, dass sie eine Woche im voraus den Umfang der Liefermenge erfahren. Er räumte ein, dass es anfangs Produktionsschwierigkeiten gegeben habe. Ende November, Anfang Dezember könne allerdings die Liefermenge deutlich erhöht werden.

Insgesamt haben die Bundesländer 50 Millionen Dosen Impfstoff bestellt. Die Auslieferung soll nach und nach bis Ende Januar erfolgen. In vielen Ländern können derzeit aber längst nicht alle Impfwilligen immunisiert werden. Berliner Ärzte beispielsweise kritisieren, die Impfaktion in der Hauptstadt verlaufe völlig planlos. "Das geht so wild durcheinander, dass Ärzte selbst etwas hilflos davorstehen", sagte der Verbandsvorsitzende der Berliner Frauenärzte, Albrecht Scheffler: "Ich kann nur hoffen, dass hier niemals die Pest ausbricht."

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) bat derweil um Geduld. Er sagte im "ARD-Morgenmagazin": "Selbst bei einer optimalen Produktion kann es immer einmal wieder zu regionalen Schwierigkeiten kommen. Deswegen bitte ich da um Geduld. Die Industrie gibt sich Mühe und die Länder sind stark vor Ort".

Zwischenzeitlich hat die Organisation Ärzte im Netz eine Liste nahezu aller Mediziner, die in Deutschland gegen Schweinegrippe impfen, ins Internet gestellt. "In den Praxen unserer Ärzteverbände stehen seit Tagen die Telefone nicht mehr still. Viele Patienten fragen nach, ob die jeweiligen Ärzte auch gegen die neue Grippe impfen - und ob sie auch Impfstoff haben", erklärte der Verband. Die Liste ist zu finden unter http://www.aerzte-im-netz.eu.

Weitere Todesfälle in Deutschland

Unterdessen wurden zwei weitere Todesfälle von Schweinegrippe-Patienten bekannt: Im Aachener Universitätsklinikum starb eine 33-jährige Frau wenige Stunden nach ihrer Entbindung. Die Frau hatte das Baby im 7. Monat am Montagmorgen mit einer Spontangeburt zur Welt gebracht. Danach verschlechterte sich der Zustand der H1N1-infizierten Frau deutlich. Ob das H1N1-Virus oder andere Umstände den Tod verursacht hätten, sei noch unklar, hieß es. In München starb ein stark übergewichtiger 33-jähriger Mann an der Infektion. Aufgrund seines Körpergewichts habe bei ihm ein erhöhtes Risiko für einen schwereren Verlauf der Krankheit bestanden, erklärte die Stadtverwaltung.

Kinderärzte mahnen: "Auch leichte Verläufe gründlich auskurieren!"

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte warnte, dass auch eine glimpflich verlaufende Schweinegrippe bei Kindern ernst genommen werden müsse. Er mahnte: "Auch leichte Verläufe gründlich auskurieren! Drei Wochen kein Sport!" Verbandspräsident Wolfram Hartmann sagte: "Kinder und Jugendliche mit Schweinegrippe gehören ins Haus und nicht in die Schule, auch wenn die Krankheit leicht verläuft oder fast schon ausgeklungen ist."

Bei vielen Patienten, auch bei Kindern und Jugendlichen, verlaufe die Krankheit ähnlich harmlos wie eine Erkältung. "H1N1 ist jedoch nicht harmlos, sondern kann den Körper genau so schwer und nachhaltig schwächen wie andere bisher bekannte Formen der Grippe", betonte Hartmann. Es sei deshalb hochriskant, Kinder und Jugendliche schon nach einem Tag ohne Fieber wieder in die Schule oder Kindergarten zu schicken. In diesem Fall bestehe die Gefahr einer Herzmuskel-Schwächung, die ernste Herzfehler verursachen könne.

In ganz Deutschland nehmen derzeit die Fälle von Schweinegrippe zu. Insgesamt sind bislang rund 40.000 Erkrankungen registriert worden.

Viele unserer Leser haben uns ihre Erfahrungen und Ansichten zur Schweinegrippe geschildert. Hier können Sie sie lesen und uns schreiben.

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