Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Fracking im Nationalpark

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Die Debatte um unkonventionelle Öl- und Gasförderung erreicht die Insel: Großbritanniens Regierung will Fracking in Ausnahmefällen sogar in Nationalparks erlauben. Das Timing der Gesetzesinitiative halten Kritiker für Absicht.

Von Christian Zaschke, London

Die britische Regierung macht ernst mit der Schiefergas-Förderung. Seit Montag können sich Energiekonzerne um Lizenzen für das sogenannte Fracking bewerben. Für potenzielle Bohrstellen steht das halbe Land zur Verfügung. In besonderen Ausnahmefällen soll die Technologie sogar in Nationalparks eingesetzt werden dürfen. Die Regierung verspricht sich Zehntausende Arbeitsplätze und größere Unabhängigkeit von Gaslieferungen, zum Beispiel aus Russland. Umweltschützer kritisieren den Vorstoß.

Die Diskussion über das Fracking wird im Vereinigten Königreich seit knapp einem Jahr intensiv geführt. Das Dorf Balcombe in West Sussex, wo Testbohrungen stattfinden, ist ein symbolisches Zentrum des Protests geworden. Hunderte Dorfbewohner harrten vor einem Jahr wochenlang an der Bohrstelle aus, zu Demonstrationen reisten Fracking-Gegner aus dem Umland an, unter ihnen die Grünen-Abgeordnete Caroline Lucas. Sie wurde wie Dutzende weitere Demonstranten von der Polizei festgenommen. Der Streit war so heftig, dass Premierminister David Cameron sich dazu veranlasst sah, in einem Gastbeitrag im Daily Telegraph das ganze Land aufzufordern, sich hinter die neue Technologie zu stellen: "Wenn wir diese Technologie nicht unterstützen, verpassen wir eine große Gelegenheit, Familien mit ihren Rechnungen zu helfen und unser Land wettbewerbsfähiger zu machen."

Das Wort Fracking ist als Kurzform des englischen Begriffs "hydraulic fracturing" entstanden, der "hydraulisches Aufbrechen" bedeutet. Bei der damit bezeichneten Fördermethode werden Wasser, Sand und Chemikalien in unterirdische Gesteinsschichten gepresst, um Gas oder Öl freizusetzen. Kritiker halten die Technik für zu wenig erforscht. Fracking könne kleine Erdbeben auslösen und das Trinkwasser verseuchen, außerdem werde die Landschaft verschandelt. Sie verweisen zudem auf eine Studie, die amerikanische Wissenschaftler der Duke University in North Carolina im Juni 2013 veröffentlichten, laut der die zur Gasförderung eingesetzten Chemikalien das Grundwasser verunreinigen. In Brunnen in der Nähe von Fracking-Anlagen fanden die Forscher erhöhte Vorkommen von Methan, Ethan und Propan im Trinkwasser.

Die britische Regierung vertritt die Ansicht, dass das Landschaftsbild sich nur ein wenig ändere, außerdem würden die Vorteile der Förderung die möglichen Nachteile bei weitem aufwiegen. Zwischen 30 000 und 70 000 neue Arbeitsplätze könnten entstehen, wenn in Großbritannien künftig flächendeckend Schiefergas gefördert werde.

Da das Unterhaus bereits in der Sommerpause ist, wurden die Details des Lizenzierungsverfahrens am Montag im Oberhaus verlesen. Nach Ansicht der Grünen Caroline Lucas handelt es sich um bewusstes Timing. "Die Regierung hat bis zur Sommerpause gewartet, ohne Zweifel weil sie wusste, wie viel Kopfschmerzen die Angelegenheit den Abgeordneten bereitet, deren Wahlkreis betroffen ist", sagte sie. Zudem äußerte sie sich besorgt darüber, dass Bohrungen in Nationalparks nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind. Den Bestimmungen zufolge könnte unter "außergewöhnlichen Umständen und bei öffentlichem Interesse" in geschützten Gebieten gefrackt werden. Das letzte Wort in der Frage, wann Umstände und Interesse gegeben sind, wird in den meisten Fällen bei Eric Pickles liegen, dem Minister für Kommunen und lokale Selbstverwaltung.

Die Energie-Konzerne zahlen jeder Gemarkung in der Nähe eines Bohrlochs 100 000 Pfund

Wäre über das Thema im Unterhaus debattiert worden, hätte sich wohl eine lebendige Diskussion entwickelt, da in der Frage nicht parteipolitisch gestritten wird. Auch konservative Abgeordnete sind gegen das Fracking, und zwar wenig überraschend diejenigen, in deren Wahlkreisen gebohrt werden könnte. Im Gegenzug sind viele Labour-Abgeordnete dafür.

Der für Energie zuständige Parlamentarische Staatssekretär Matthew Hancock sagte, er wolle die Lizenzierungsverfahren beschleunigen, so dass Energiekonzerne rund sechs Monate nach Antragstellung mit Probebohrungen beginnen könnten. Der BBC sagte er, dass es natürlich an manchen Orten Fracking-Gegner gebe; die große Mehrheit sehe aber ein, dass eine sichere Energieversorgung wichtig sei, weshalb sie das Fracking sogar begrüße. Auf Nachfrage konnte er allerdings nicht einen potenziell betroffenen Ort nennen, in dem die Technologie befürwortet wird.

Die Regierung hat mit den Energiekonzernen Anreize für die Anwohner von Bohrstellen ausgearbeitet. So haben die Konzerne zugestimmt, jeder Gemarkung in der Nähe eines Bohrlochs 100 000 Pfund zu zahlen. Sollte später wirklich Gas gefördert werden, erhielten die Anwohner ein Prozent der Erlöse.

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Quelle:
SZ vom 29.07.2014
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