Süddeutsche Zeitung

Gentechnik:Pflanzenforscher wollen neues Gentechnikgesetz

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Von Kathrin Zinkant

Es ist bislang nicht oft vorgekommen, dass sich Wissenschaftler direkt an die Politik wenden. Pflanzenforscher sind da eine Ausnahme. Zum wiederholten Mal fordern sie die Regierung dazu auf, sich in Brüssel für eine neue Gesetzgebung zur Grünen Gentechnik einzusetzen. In einem Offenen Brief an Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und Bundesagrarministerin Julia Klöckner kritisieren mehr als 130 Unterzeichner aus der deutschen Pflanzenzüchtungsforschung, dass sowohl die EU-Freisetzungsrichtlinie, als auch das deutsche Gentechnikgesetz dem Wissensstand nicht mehr gerecht würden. Initiiert hatten das Schreiben der Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik und der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin.

Der Brief bezieht sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Juli. Es ging darin um die neuen molekularbiologischen Techniken, zu denen auch die Genschere Crispr-Cas zählt. Sie erlauben geringfügige, gezielte Veränderungen im Genom von Bakterien, Pflanzen und Tieren. Im Gegensatz zu einer Anwendung beim Menschen gelten die Techniken in der Pflanzenzucht als sicher. Im Ergebnis sind veränderte Pflanzen von konventionellen Züchtungen meist nicht zu unterscheiden. Laut EuGH-Urteil sollen sie jedoch reguliert werden wie herkömmliche Gentech-Organismen, zu denen auch die umstrittenen transgenen Pflanzen zählen.

"Zeit ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können", schreiben die Wissenschaftler

Das Urteil war von Gentechnikgegnern gelobt worden, auch das Bundesumweltministerium und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) begrüßten die Entscheidung. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek bedauerte dagegen, dass kein "forschungsfreundlicheres Urteil" gefallen sei. "Nun wird es darauf ankommen, dass die Anwendung des Gentechnikrechtes künftig nicht dazu führt, die moderne Pflanzenzüchtungsforschung in Deutschland und Europa vollständig zum Erliegen zu bringen."

Diese Sorge wird von Pflanzenforschern nicht nur in Deutschland geteilt. Schon im Oktober hatten Wissenschaftler aus mehr als 75 europäischen Forschungseinrichtungen an die EU-Politik appelliert, Innovationen in den Pflanzenwissenschaften zu schützen. Jede Form der Züchtung, auch die konventionelle, führe zu genetischen Veränderungen. Die Präzisionszüchtung mithilfe von Genscheren wie Crispr-Cas sei jedoch in der Lage, Pflanzen an die extremen Witterungen anzupassen, die derzeit zu beobachten sind. Durch die neuen Verfahren lassen sich Anpassungen binnen weniger Jahre erreichen. Konventionelle Züchtung dauert dagegen Jahrzehnte. "Zeit ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können", heißt es dazu im aktuellen Brief aus Deutschland. Die Politik wiederum habe schlicht "nichts getan".

EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis hat in einer Reaktion auf den neuen Brief versichert, die Folgen des Urteils würden in den Dienststellen der EU-Kommission diskutiert. Innerhalb der Amtszeit der jetzigen Kommission werde jedoch keine neue Gesetzgebung angestrebt. Er empfehle, sich an die nationalen Behörden zu wenden. Inwieweit die deutschen Ministerien jedoch neue Lösungen auf EU-Ebene anstreben, ist unklar. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung sagte eine Sprecherin des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die Folgen des EuGH-Urteils seien "Gegenstand laufender Gespräche innerhalb der Bundesregierung". Das BMEL verwies auf die EU-Kommission und auf einen derzeit durch das Ministerium initiierten, wissenschaftlich geführten Dialogprozess in Deutschland. Die weitere Entwicklung in Brüssel bleibe abzuwarten.

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Quelle:
SZ vom 28.11.2018
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