Süddeutsche Zeitung

Genetik:Keine Intelligenz-Gene für den Nachwuchs

Eine Studie zeigt, dass Menschen mit hohem Bildungsbedürfnis weniger Kinder haben. Ein bevölkerungsweiter Intelligenzschwund droht dennoch nicht.

Von Hanno Charisius

Menschen, denen Bildung wichtig ist, haben weniger Nachkommen. Was bereits ein Blick in die Bevölkerungsstatistik offenbart, untermauern isländische Biologen jetzt mit einer genetischen Erklärung. Bei der Analyse des Erbguts von mehr als 100 000 Isländern stießen sie auf einen evolutionären Effekt, der so bislang noch nicht gemessen worden war.

Die Genetiker fanden heraus, dass Menschen mit Erbanlagen, die geringfügig zu einem gesteigerten Bildungsbedürfnis und einem höheren Abschluss beitragen, weniger Kinder haben. Das führte in Island dazu, dass diese Erbanlagen in der Bevölkerung zwischen 1910 und 1975 etwas seltener wurden, und mithin sinke rechnerisch der IQ, schreibt die Forschergruppe im Journal PNAS.

Die Genetiker schätzen den bevölkerungsweiten Intelligenzschwund dadurch auf bis zu 0,3 IQ-Punkte pro Jahrzehnt. Würde es nicht andere Mechanismen geben, die dem entgegenwirken, wäre das ein dramatischer Effekt. Tatsächlich zeigen jedoch Studien, dass der IQ zwischen 1932 und 1978 um fast 14 Punkte anstieg.

Die genetischen Einflüsse auf das Bildungsniveau der Bevölkerung sind also im Vergleich zu anderen Faktoren verschwindend klein, doch lassen sie sich heutzutage messen. Die Daten aus Island bestätigen eine Untersuchung aus dem vergangenen Jahr. Auch der Ökonom Jonathan Beauchamp hatte entdeckt, dass die natürliche Selektion - andere Einflüsse einmal ignoriert - bei Amerikanern allmählich gegen Erbanlagen wirkt, die den Bildungsstand beeinflussen. Bedeutsamer jedoch als den kleinen Effekt fand Beauchamp die Tatsache, dass die Evolution des Menschen wohl noch nicht abgeschlossen ist.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2017
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