Süddeutsche Zeitung

SZ-Kolumne: "Theorie und Praxis":Ist es eine gute Idee, den Rasen nicht zu mähen?

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Die Wiese wachsen zu lassen, ist aus ökologischer Sicht richtig. Und doch hat die Sache Nachteile.

Von Tina Baier

Im frühen Frühjahr, wenn Gänseblümchen und Löwenzahn vorsichtig ihre Köpfe aus dem Rasen strecken, geht es los: Irgendwo in der Nachbarschaft fängt ein Rasenmäher an zu brummen. Nach diesem Signal gibt es kein Halten mehr. Das Dröhnen der Elektro- und Benzinmotoren ist bald von allen Seiten zu hören - seit einigen Jahren durchmischt vom dezenteren Surren der Mähroboter.

Gar nicht so einfach, dem Gruppenzwang zu widerstehen, einfach nichts zu tun und Rasen samt Gänseblümchen und Löwenzahn wachsen zu lassen. Aus ökologischen Gründen natürlich. Schließlich wäre es absurd, einerseits das Volksbegehren "Rettet die Bienen" zu unterschreiben und andererseits im eigenen Garten alles kurz- und klein zu häckseln.

Neulich beim Kindergeburtstag sind dann gleich zwei Gäste in Bienen getreten, die auf der üppig blühenden Wiese begeistert von Blüte zu Blüte summten. Ein Kind mit Heuschnupfen hat die Party niesend und mit geschwollenen Augen im Haus verbracht. Ist es also wirklich eine gute Idee, statt des berüchtigten Psychopathen-Rasens, der aussieht, als sei jeder Halm mit der Nagelschere getrimmt, eine blühende Wildnis vor der Haustür wachsen zu lassen?

Aus ökologischer Sicht auf jeden Fall. Einer der Gründe für das weltweite Insektensterben und den Schwund vieler anderer Tierarten ist ja gerade, dass es viel zu wenig Wildnis gibt. Ein perfekter Fußballrasen ist für Tiere wie eine grüne Wüste, in der es keine Nahrung, keine Verstecke und keine Orte gibt, an denen der Nachwuchs schlüpfen oder großgezogen werden kann. Richtig ist auch, dass viele Menschen erst wieder lernen müssen, dass Natur nicht immer schön und romantisch ist: Bienen stechen, manche Pflanzen sind giftig und vom Aussterben bedrohte Frösche quaken nachts manchmal so laut, dass an Schlaf nicht zu denken ist.

Wann und wie oft muss der Rasen wirklich gemäht werden?

Zum Glück gibt es Möglichkeiten, Nutzung und Naturschutz im eigenen Garten miteinander zu vereinbaren. Wer eine "wilde Ecke" einrichtet, in der nicht gemäht wird, wo es Totholz gibt und vielleicht sogar eine sandige Stelle, die viele Wildbienen lieben, hat schon viel für die Artenvielfalt getan. Andere Stellen sind dann zum Fußballspielen und Grillen da.

Ein wichtiger Beitrag zum Umweltschutz ist auch, gut zu überlegen, wann und wie oft der Rasen gemäht werden muss. Den Mähroboter gleich Ende April oder Anfang Mai loszulassen, ist tatsächlich eine Art Umweltsünde. Gerade der unbeliebte Löwenzahn ist für Bienen und viele andere Insektenarten eine wichtige Nahrungsquelle zu einer Zeit, in der sonst noch nicht viel blüht. Andererseits müssen Familien mit drei Fußball spielenden Rabauken-Kindern kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie nicht im ganzen Garten ausschließlich ökologisch wertvollen Magerrasen mit empfindlichen Pflanzen anlegen.

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