Folter in Guantanamo:"Pharmakologisches Waterboarding"
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Falsche Behandlung oder Folter? Ohne medizinische Notwendigkeit gab das US-Militär Guantanamo-Häftlingen ein Malaria-Medikament. Das Mittel kann Albträume, Aggressivität, Halluzinationen, Panik, Psychosen und Angst auslösen.
Elke Brüser
Kuba mag der Hort vielen Unbills sein, aber Malaria gibt es auf der Karibikinsel schon seit 1973 nicht mehr. Trotzdem mussten alle Terrorverdächtigen, die in das US-Lager Guantanamo Bay gebracht wurden, das nebenwirkungsreiche Malariamittel Mefloquin einnehmen.
Medizinische Gründe könne das nicht gehabt haben, beklagt eine Gruppe von Juristen von der Seton Hall University in New Jersey in ihrem aktuellen Bericht "Medikamentenmissbrauch - eine Untersuchung über den Mefloquin-Einsatz der US-Regierung in Guantanamo".
Aber was waren dann die Motive für die Behandlung, fragt sich die Gruppe um den Juraprofessor Mark Denbeaux, der neben seiner Tätigkeit an der Universität auch Guantanamo-Häftlingen Rechtsbeistand leistet.
Für ihren Bericht haben die Juristen medizinische Studien ebenso ausgewertet wie Auskünfte von Betroffenen und Dokumente aus dem US-Verteidigungsministerium. Therapeutische Ziele könnten schon deshalb nicht vorgelegen haben, weil Mefloquin gegeben wurde, ohne dass die Häftlinge überhaupt auf Malaria untersucht worden wären, schreiben die Juristen.
Es sei um Vorbeugung gegangen, sagte Tanya Bradsher, Sprecherin des US-Verteidigungsministeriums auf Anfrage der gemeinnützigen Organisation "Truthout". Die Malaria sollte sich nicht ausbreiten.
Den Kritikern will das nicht einleuchten. Zwar hatten einzelne Internierte die Krankheit mit ins Lager gebracht. Doch von Mensch zu Mensch wird der Erreger nicht übertragen, und Insekten, die nach einer Blutmahlzeit bei Malariakranken als Überträger in Frage kommen, gibt es auf Kuba nicht. Und außerdem, fragt "Truthout", wenn es wirklich um Prävention ging: Warum sind die Armeeangehörigen in Guantanamo dann nicht mit Mefloquin versorgt worden?
Zur Prophylaxe war die verabreichte Dosis mit 1250 Milligramm an einem Tag ohnehin zu hoch: Das ist fünfmal so viel, wie zur Vorbeugung einmal pro Woche empfohlen wird. Mit der Dosis aber steigt das Risiko: Mefloquin ist kein Mittel, das man gerne ohne zwingenden Grund einnimmt. Schon bei der niedrigen vorbeugenden Dosis kann es Albträume, Aggressivität, Halluzinationen, Panik, Psychosen und Angst auslösen. Es gab bereits Berichte von tätlichen Angriffen und Suiziden nach der Einnahme von Mefloquin.
Bei Angststörungen, Depressionen, Psychosen oder Episoden von Schizophrenie in der Lebensgeschichte soll Mefloquin daher nicht verordnet werden. Unter solchen psychischen Krankheiten aber litten manche Guantanamo-Gefangene zweifelsohne. Insgesamt habe es unter den rund 700 Gefangenen einige Dutzend Suizidversuche gegeben, berichtet Amnesty International.
Was da geschehen ist, mag Major Remington Nevin kaum glauben. Der Arzt ist im US Army Medical Corps für die Gesundheit der Soldaten mitverantwortlich. Mit den Nebenwirkungen von Mefloquin ist er seit Jahren befasst . Die Guantanamo-Häftlinge ohne Nachweis einer Malariainfektion mit einer so hohen Dosis Mefloquin zu behandeln, sei seiner Ansicht nach bestenfalls ein Fehlgebrauch des Mittels, sagt Nevin. Schlimmstenfalls sei es ein Missbrauch, den man auch als "pharmakologisches Waterboarding" bezeichnen könne.
Waterboarding ist eine Foltermethode, die unsägliche Ängste verursacht und nur schwer nachzuweisen ist, weil sie keine körperlichen Spuren hinterlässt. Die seelischen Schäden aber können anhaltend sein. Beim Waterboarding will der Peiniger seinem Opfer das Gefühl geben, dass es ertrinkt, indem er ihm zum Beispiel nasse Tücher auf Mund und Nase legt und sie ständig mit Wasser überspült. Die pharmakologische Variante benutzt Medikamente zum Quälen.
Warum wurde überhaupt Mefloquin gewählt? 1991/92, als 14.000 Haitianer nach Guantanamo flüchteten, entschied das US-Verteidigungsministerium noch anders. Damals wurden nur die 235 mit Malaria Infizierten behandelt - und zwar mit dem weniger problematischen Chloroquin. Dieses Mittel gilt als erste Wahl, sofern die Malariaerreger nicht, wie etwa in Afrika, resistent dagegen sind.
Eigentlich ist Mefloquin der US Army bestens bekannt. Verkauft wird es unter dem Namen Lariam vom Schweizer Konzern Hoffmann-La Roche, aber entwickelt wurde es am Armee-eigenen Walter Reed Institute. Schon in den 1970er Jahren wurde Mefloquin in den USA Gefangenen verabreicht: Diese wurden absichtlich mit Malaria infiziert, um das Mittel zu testen. Seine psychiatrischen Effekte galten von Anfang an als Problem.
Es sei eine "dunkle Möglichkeit", die sich da aus ihrer Analyse ergebe, schreiben die Juristen der Seton Hall University: Womöglich habe das Militär Mefloquin "eigens gegeben, um die unerwünschten Nebenwirkungen hervorzurufen". Dies könnte "Teil verschärfter Befragungstechniken gewesen sein, ein Experiment zur Verhaltensänderung oder Folter für andere Zwecke".
Die Voraussetzungen für Medizinversuche in Guantanamo gab es sogar: Systematisch habe Washington dies vorbereitet, berichtet "Truthout". Einen Monat nach Beginn der Internierung auf Kuba im Januar 2002 hat die Bush-Regierung die Inhaftierten dem Schutz der Genfer Konvention entrissen.
Kurz darauf wurden "verschärfte Befragungstechniken" erlaubt; und im März verfasste der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz ein geheimes Memorandum zu Experimenten an Menschen. Damit wurde deren "informierte Zustimmung" unnötig, wenn dies die Entwicklung eines medizinischen Produkts für die Armee fördere.