Süddeutsche Zeitung

Erdbeben-Rückschau:Die heftigsten Schläge

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Nicht die stärksten Beben waren bisher die tödlichsten. Über die Zahl der Opfer und das Ausmaß der Verwüstung entscheiden andere Faktoren.

Patrick Illinger

Oft wird der Planet Erde mit einem Ei verglichen - innen weich und mit harter Kruste. Doch dieses Bild ist falsch, denn die Erdkruste ist keineswegs eine starre Hülle, sondern großflächig zersplittert. Und an den Bruchlinien bildet sich mancherorts ständig neue Kruste, während anderswo die harte Schale in das heiße flüssige Erdinnere absinkt. An solchen Spannungslinien kracht und rummst es pausenlos. Dabei können ruckartig ungeheuere Mengen Energie freiwerden, so zum Beispiel 1960 in Chile, bei dem heftigsten je gemessenen Erdbeben.

Dessen Wucht erreichte die Magnitude 9,5 auf der Richter-Skala. Noch eine Woche danach waren Schwingungen in allen Erdteilen messbar. Zwei Millionen Menschen verloren ihr Zuhause, und ein Tsunami tötete noch in Hawaii Menschen. Doch die Zahl der Todesopfer blieb bei 3000, also weit unter der nun in Haiti zu befürchtenden Opferzahl. Die physikalische Energie eines Erdbebens lässt eben nicht auf seine Tödlichkeit schließen. Im Gegenteil: Auf der Liste der weltweit folgenschwersten Erdbeben seit dem Jahr 1900 ist das Beben von Chile nur auf Platz 90 zu finden.

Insgesamt 85 Beben mit einer Magnitude von 8,0 oder mehr listet der amerikanische Geologische Dienst USGS für die vergangenen 110 Jahre auf. Doch nur ein einziges dieser heftigen Beben zählt auch zu den 25 folgenschwersten Beben der Neuzeit: das Beben vom 26.12. 2004 in Südostasien. Allerdings starben die meisten der offiziell 227.898 Todesopfer dieses Ereignisses in der Flutwelle, die sich infolge der unterseeischen Erdstöße ausbreitete. Nimmt man dieses Tsunami-Ereignis aus, so verloren bei den 85 stärksten Erdbeben seit 1900 zusammengenommen weniger Menschen ihr Leben als nun in Haiti.

Erdbeben betreffend kommt der Tod oft auf leiseren Füßen. Bis auf das Tsunami-Beben von 2004 blieben die 25 tödlichsten Erdbeben der vergangenen 110 Jahre alle deutlich unterhalb der Magnitude 8. Angeführt wird die Statistik der Todesopfer von dem Beben 1976 in Tangshan in China, bei dem nach Regierungsangaben 255.000 Menschen umkamen, wobei unabhängige Experten mehr als 600.000 Tote vermuten. Dieses Beben hatte eine Magnitude von 7,5, was statistisch weltweit mehrmals pro Jahr vorkommt.

Blickt man weiter in die Vergangenheit zurück, so wurde das bevölkerungsreiche China immer wieder grausam von Beben getroffen. Dort kam es 1556 auch zu den weltweit bislang folgenschwersten Erdstößen: 830.000 Menschen verloren damals bei einem 8,0-Beben in der Provinz Shaanxi ihr Leben.

Die Lage des Epizentrums und die Art der Erdstöße entscheiden offenbar mehr über die Folgen eines Bebens als dessen Stärke. Kurz vor den Stößen von Haiti gab es an zwei Orten der Erde noch heftigere Beben, wobei kein Mensch sein Leben verlor: ein Beben der Stärke 7,1 am 3. Januar bei den Solomonen, und im November 2009 nahe der Fidji-Inseln. Das im Vergleich schwächere 7,0-Beben von Haiti hat nun eine ganze Nation ins Verderben gestürzt.

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SZ vom 19.01.2010/beu
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