Süddeutsche Zeitung

Ökologie:Wenn Ameisen Zebras retten

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In Kenia lösen Dickkopfameisen eine ökologische Kettenreaktion aus, sodass Löwen weniger Beute erwischen.

Von Tina Baier

Auf den ersten Blick wirken Dickkopfameisen nicht gerade gefährlich. Die Arbeiterinnen sind nur 2,5 Millimeter klein und können anders als viele andere Arten nicht einmal Ameisensäure versprühen. Die Soldaten von Pheidole megacephala werden zwar etwas größer und haben einen breiten Kopf, der der ganzen Art ihren Namen gegeben hat - wirklich bedrohlich wirken aber auch sie nicht. Das täuscht.

Nach Einschätzung der Weltnaturschutzunion IUCN gehören Dickkopfameisen zu den hundert schlimmsten invasiven Arten weltweit. Nach einer Studie in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Science können die kleinen Insekten sogar Löwen dazu zwingen, weniger Zebras zu fressen.

Der aktuellen Studie zufolge fing alles damit an, dass Dickkopfameisen eine andere Ameisenart, die Akazien-Ameisen ( Crematogaster), aus einem Teil des Ol Pejeta Conservancy, einem Schutzgebiet in Kenia, vertrieben haben. "Sie überwältigen Crematogaster zahlenmäßig und vernichten sie, indem sie erwachsene Ameisen töten und Eier, Larven und Puppen auffressen", schreiben die Forschenden um den Biologen Douglas Kamaru von der US-amerikanischen University of Wyoming in Science.

Akazien-Ameisen verteidigen "ihren" Baum sogar gegen Elefanten

Auf diese Weise zerstörten die Angreifer die Lebensgemeinschaft, die Akazien-Ameisen normalerweise mit Akazienbäumen bilden und von der sowohl die Insekten als auch die Pflanzen profitieren. Biologen sprechen von Mutualismus. Die Akazien bieten den Ameisen Schutz in Form von hohlen Dornen, in denen die Insekten wohnen und Nahrung in Form von süßem Nektar, der an den Blattstielen austritt. Im Gegenzug verteidigen die Ameisen "ihre" Akazie gegen alle Tiere, die den Baum anknabbern wollen. Die Massen von Ameisen, die bei der kleinsten Vibration ausrücken, können sogar Elefanten in die Flucht schlagen.

Nachdem aber die Dickkopfameisen die Bodyguards der Akazien vertrieben hatten, waren die Pflanzen schutzlos dem Appetit von großen Pflanzenfressern ausgeliefert: Elefanten fraßen die Bäume der Untersuchung zufolge fünf- bis siebenmal so oft an oder knickten die Bäume gleich ganz ab. Das fanden die Studienautorinnen und -autoren heraus, indem sie jene Teile des Schutzgebiets, in denen die Dickkopfameisen die Herrschaft übernommen hatten, mit solchen verglichen, in denen es noch Akazien-Ameisen gab.

Den Forschenden zufolge dezimierten die Elefanten die Zahl der Akazienbäume im Herrschaftsgebiet der Dickkopfameisen derart dramatisch, dass eine offenere Landschaft mit deutlich weniger Bäumen entstand. Dadurch brachen den Löwen Verstecke weg, aus denen heraus sie Überraschungsangriffe auf ihre Lieblingsbeute - Zebras - gestartet hatten. Den Studienergebnissen zufolge sank dadurch die Zahl der von Löwen getöteten Zebras um etwa ein Drittel.

Ob und wie die Löwen das ausgleichen, sei nicht ganz klar, schreibt Kaitlyn Gaynor von der University of British Columbia im kanadischen Vancouver in einem Begleitkommentar in Science . Den Studienautoren zufolge gibt es aber Hinweise, dass die Raubkatzen ihr Beuteschema geändert haben und neuerdings mehr Büffel jagen. Möglicherweise, weil diese langsamer sind als Zebras, und die Raubkatzen sie auch ohne Überraschungseffekt erwischen.

Die Studie in Science ist eine der wenigen Untersuchungen, in denen es gelungen ist, Schritt für Schritt nachzuvollziehen, wie eine scheinbar kleine Veränderung im Artenspektrum eines Ökosystems große Auswirkungen haben kann. Meist sei es "fast unmöglich, eine beobachtete systemweite Veränderung auf eine bestimmte Ursache in der Kette zurückzuführen", schreibt Gaynor. Oft ist schlicht zu wenig bekannt über die verschiedenen Lebewesen in einem Ökosystem, um das Puzzle derart lückenlos zusammensetzen zu können, wie es dem Team um Douglas Kamaru gelungen ist.

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