Süddeutsche Zeitung

Immobilien:Es wird gebaut - aber falsch

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400 000 neue Wohnungen jedes Jahr, das hat sich die Ampel-Koalition vorgenommen. Immobilienexperten aber bezweifeln, dass das zu schaffen ist. Und sagen: Mehr bauen allein reicht nicht.

Von Stephan Radomsky

Es wird gebaut - und wie: Bereits 2020 wurden mehr als 300 000 neue Wohnungen im Land fertiggestellt, zum ersten Mal seit fast 20 Jahren. Und im vergangenen Jahr dürften es noch mehr gewesen sein, etwa 315 000 Wohnungen. Entspannt sich also der Wohnungsmarkt jetzt? Eher nicht - denn gebaut wird zwar fleißig, allzu oft aber das Falsche, schreiben die sogenannten Immobilienweisen, ein Beratergremium des Spitzenverbands der Immobilienwirtschaft ZIA. Ihr aktuelles Frühjahrsgutachten wird am Dienstag vorgestellt und lag der SZ in Auszügen vorab vor.

Der Boom am Bau gehe in den Zentren "ausschließlich auf kleinere Geschosswohnungen" zurück, gebraucht aber würden vor allem größere, familientaugliche Wohnungen, heißt es dort. Derzeit gehe der Neubau damit "an den Bedürfnissen der Familien völlig vorbei". Denn die Zahl der Haushalte mit drei und mehr Personen wächst den Daten zufolge schneller als die Zahl kleinerer Haushalte. Die Folge: Familientaugliche Wohnungen werden immer knapper, die Preisaufschläge steigen. Und auch im sozialen Wohnungsbau werde zu klein geplant, kritisiert Autor Harald Simons vom Empirica-Institut: In Nordrhein-Westfalen beispielsweise hätten fast drei Viertel aller geförderten Mietwohnungen zwei oder bestenfalls drei Zimmer, nicht einmal jede fünfte aber vier Zimmer oder mehr. Gerade einkommensschwache Familien hätten so immer größere Probleme, angemessenen Wohnraum zu finden und lebten deshalb viel zu beengt.

Das hat inzwischen Folgen für die großen Städte: "Die Familien verlassen die A-Städte", heißt es im Gutachten. Gehe es so weiter, drohe eine weitere Abwanderung - in der Folge entstünden mehr Einfamilienhäuser außerhalb. Zugleich seien die Zeiten, in denen die Metropolen von selbst immer neue Einwohner anlockten, "längst zu Ende gegangen". In fünf der sieben größten Städte im Land lebten heute weniger Menschen als noch vor einem Jahr, einzig München und Hamburg wuchsen demnach auch 2021 noch leicht. Corona sei daran nicht schuld, der Trend habe bereits zuvor eingesetzt und sei durch die Pandemie nur beschleunigt worden.

"Baut endlich wieder große Wohnungen!"

Zudem zweifeln die Experten am Ziel der Bundesregierung, jährlich 400 000 neue Wohnungen zu schaffen, davon 100 000 geförderte. Selbst wenn die Zahl der Baugenehmigungen jetzt nochmals deutlich ansteige, dauere der Bau schlicht zu lang, um das noch in dieser Legislaturperiode zu erreichen. Schon jetzt seien etwa 780 000 Wohnungen zwar genehmigt, aber noch nicht fertig.

Städte und Investoren sollten deshalb ihre Pläne dringend überdenken und besser auf Familien ausrichten: "Baut endlich wieder große Wohnungen!", heißt es im Gutachten. Denn die Abwanderung beeinflusst inzwischen auch die Mietpreise. Die stiegen in der Neuvermietung in den sieben größten Städten laut Gutachten zwar auch im vergangenen Jahr - mit einem Plus von 2,7 Prozent allerdings das dritte Jahr in Folge langsamer als die Inflation. Im Bundesdurchschnitt lag das Plus dagegen bei 3,7 Prozent - getrieben von überdurchschnittlichen Zuwächsen in west- und ostdeutschen Landkreisen.

Noch deutlich schneller zogen erneut die Kaufpreise an. Allein im vergangenen Jahr kostete demnach eine Eigentumswohnung im Bestand im Bundesdurchschnitt gut 14 Prozent mehr: über 3100 Euro pro Quadratmeter. Ähnlich sah es bei den Kaufpreisen für Ein- und Zweifamilienhäuser aus - ebenfalls ein Zeichen für die hohe Nachfrage abseits der Zentren. 2021 sei damit das sechste Jahr in Folge gewesen, in dem die Preise um neun Prozent oder mehr anzogen.

Dass Kauf- und Mietpreise immer weiter auseinanderdriften, drückt auch die Renditen. In den Top-Sieben-Städten habe der Kaufpreis zuletzt im Mittel beim 33- bis 47-Fachen der Jahresmiete gelegen - zuzüglich Kaufnebenkosten und laufender Instandhaltung. Innerhalb von nur zehn Jahren hat sich sogenannte Bruttoanfangsrendite im Bundesdurchschnitt in etwa halbiert.

Wachsende Sorgen vor einer Blase

Die Entwicklung beunruhigt inzwischen immer mehr Beobachter: Ende vergangener Woche hatte der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) der Bundesregierung empfohlen, etwas gegen das Hochschnellen der Preise zu unternehmen. So sollte beispielsweise bei der Finanzierung das Verhältnis zwischen Kredithöhe und Immobilienwert begrenzt werden. Das hieße, Banken dürften nur noch einen bestimmten Anteil des Preises per Kredit finanzieren.

Bereits Ende vergangenen Jahres hatten Ökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) von einer drohenden Preisblase am Häusermarkt gesprochen. Die Bundesbank hatte ebenfalls gewarnt, die Preise lägen inzwischen um zehn bis 30 Prozent über dem gerechtfertigten Niveau. Die Finanzaufsicht Bafin hatte die Banken deshalb zuletzt verpflichtet, für Immobilienkredite künftig mehr eigenes Kapital zu hinterlegen: zwei Prozent der Darlehenssumme zusätzlich. Für Käufer und Bauherren bedeutet das vor allem: Ihre Zinsen dürften steigen.

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