Süddeutsche Zeitung

Enthüllungsplattform:Wikileaks lebt

Lesezeit: 3 min

Von John Goetz und Hans Leyendecker

Wikileaks ist eine kleine Firma, fünf bis sieben Angestellte vielleicht. Der Mitgründer des Unternehmens, Julian Assange, sitzt in London, gefangen in einer Botschaft. Seine wichtigste Mitarbeiterin, Sarah Harrison, lebt seit November 2013 in Berlin. Sie treibt eine Organisation namens "Courage Foundation" an, die sich um Whistleblower kümmert, und sie hat eine Menge damit zu tun, neue Wikileaks-Enthüllungen auf den Weg zu bringen. Und da sind noch ein paar Mitarbeiter in Australien und sonstwo - aber wirklich nichts Großes.

Wer Geschichten über Davids und Goliaths mag, muss eigentlich Gefallen daran finden, dass der Kleine dem Großen wirklich zu schaffen macht. Etwa fünfzig Milliarden Dollar kosten die amerikanischen Geheimdienste im Jahr, und sie werden immer wieder von Whistleblowern wie Edward Snowden, dessen Schutzengel Sarah Harrison in Hongkong und Moskau war, elendig vorgeführt. Wikileaks hat allenfalls einen sechsstelligen Umsatz.

Natürlich wusste man vorher, dass die NSA die Franzosen ausspioniert, als wären sie Russen. Aber die Enthüllung durch Wikileaks war dann doch eine Offenbarung. Es war ein echter Wikileaks-Scoop; gut vorbereitet, jeder Eingeweihte kannte die Absprachen und hielt sich daran.

Ein paar Medien, in Frankreich das Blatt Libération vorneweg, aber auch die ddeutsche Zeitung und der NDR, wurden darüber informiert, was da kommen sollte. Vor 22 Uhr am Dienstagabend durfte nichts raus. Das klappte wirklich: In jüngerer Zeit hat Wikileaks selten ein solches Echo ausgelöst. Wikileaks lebt, und da kommt mehr. Auch das war die Botschaft.

Die Enthüllungsplattform hat ganz große Zeiten erlebt. Da waren die Enthüllungen zum Irak-Krieg, der noch schrecklicher war, als man vorher meinte. Wikileaks enthüllte Dokumente von Kriegsverbrechen. Und da waren die Zehntausende zumeist geheimer Dokumente über den Afghanistan-Krieg. Die Veröffentlichung Hunderttausender vertraulicher Diplomatenberichte brachte die US-Regierung in Schwierigkeiten. "Cablegate", wie diese Lieferung genannt wurde, bereitete zumindest aus Sicht von Assange den Arabischen Frühling mit vor, weil die Kenntnis der US-Depeschen dazu beigetragen habe, die Legitimität von Diktatoren zu untergraben.

Aber auch in diesem Genre gibt es ein Auf und ein Ab. Der Boykott des Kreditunternehmens Visa und die daraus resultierenden Geldprobleme sowie die Anschuldigungen schwedischer Ermittler gegen Assange setzten der Organisation schwer zu. Wikileaks als Idee und Produkt galt vielen schon als gescheitert.

Doch Wikileaks mischt wieder mit. Mal mit kleineren Geschichten, mal mit größeren Enthüllungen. In den vergangenen Wochen schafften es Enthüllungen von Wikileaks zweimal auf die Titelseiten der New York Times, was in der Branche etwas gilt.

Vor ein paar Tagen beispielsweise stellte Wikileaks mehr als 60 000 Dokumente des saudischen Außenministeriums ins Internet. Die Reaktion der saudischen Führung zeigte, dass das Angebot gut war. Das Außenministerium verbot den Bürgern, die Website mit womöglich gefälschten Dokumenten aufzurufen.

Wikileaks lebt, wie alle Enthüllungsformationen, von Informanten. Und was die amerikanischen Geheimdienste schon lange umtreibt, ist die ziemliche Gewissheit, dass es nach Snowden mindestens eine neue NSA-Quelle gibt, welche die Welt darüber informiert, was die NSA so treibt. Diese Quelle hat möglicherweise das Material über die Franzosen geliefert. Seit Herbst 2014 gibt es die Mutmaßung, dass es nach Snowden wohl einen weiteren oder gar mehrere Whistleblower bei den US-Diensten gibt. In den USA kursierten die Spekulationen amerikanischer Regierungsbeamter über eine solche Quelle. Ende September vorigen Jahres bat die "Courage-Foundation" um Unterstützung. Eine Quelle, die Informationen über das US-Geheimdienstprogramm weitergeleitet habe, brauche Beistand.

Am Ende des Dokumentfilms "Citizenfour", der sich mit den Enthüllungen Snowdens beschäftigt, tritt der Journalist Glenn Greenwald auf, der Snowden in Moskau etwas kryptisch von einer zweite Quelle bei der NSA berichtet. Diese Quelle, so Greenwald damals, sei im Rang höher, als Snowden das war. Es tauchten an verschiedenen Stellen Dokumente auf, die nicht von Snowden stammen konnten. Das Enthüllungsportal The Intercept beispielsweise veröffentlichte Geheimdokumente über US-Geheimdienste, die nicht von Snowden stammen konnten.

Vielleicht gibt es zwei, drei oder sogar vier Überläufer. Wikileaks tut alles, um die neue Quelle zu schützen. Und Anfragen zur Quellenlage in Sachen NSA und Frankreich verbieten sich. Bei Betrachtung der Dokumente fällt allerdings auf, dass nur Unterlagen bis 2012 freigegeben wurden. Also, aber wirklich nur in der Theorie, könnten sie auch von Snowden stammen. Man schützt so die Quelle. Für neumodische Enthüllungsplattformen wie für alte Medien gilt derselbe Grundsatz: Bei Enthüllungen braucht es eine Dramaturgie.

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SZ vom 25.06.2015
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