Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Es pressiert

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Whistleblower müssen in Deutschland endlich besser geschützt werden.

Von Katharina Kutsche

Deutschland muss handeln. Und damit ist mal nicht die Strategie der Bundesregierung bei der Pandemiebekämpfung gemeint, sondern der Schutz von Whistleblowern. Vor knapp zwei Wochen veröffentlichte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einen Bericht, in dem sie der Bundesrepublik empfiehlt, endlich zu reagieren: Sie solle die Gesetzgebung für einen klaren und umfassenden Hinweisgeberschutz novellieren - und zwar dringend. Dem ist nichts hinzuzufügen, denn der zögerliche Umgang mit dem Thema ist für eine Wirtschaftsnation beschämend.

Seit vielen Jahren kritisieren Lobbyverbände wie Transparency International oder das Whistleblower-Netzwerk, dass Menschen, die auf Missstände hinweisen, ihre berufliche Existenz riskieren und in vielen Fällen verlieren. Diese Kritik ist im Kern richtig. Ein Mensch, der den Mut aufbringt, Straftaten oder andere Verfehlungen gegenüber seinem Arbeitgeber oder Behörden zu melden, sollte nicht um seinen Job und seinen Ruf fürchten müssen. Und solange sie niemanden absichtlich falsch beschuldigen, sollten Whistleblower rechtlich abgesichert sein. Dafür braucht es gesetzliche Regelungen, die sowohl die Privatwirtschaft als auch Behörden in die Pflicht nehmen.

Im Dezember nun hat das Bundesjustizministerium einen Entwurf für ein neues Hinweisgeberschutzgesetz vorgelegt. Damit wird eine EU-Richtlinie aus 2019 in nationales Recht umgesetzt - wenn es gut läuft, fristgerecht zum 17. Dezember 2021. Doch die Zeit drängt. Derzeit ist der Entwurf noch nicht mal im Bundeskabinett abgestimmt. Und trotz aktueller Skandale wie der Maskenaffäre sind es die unionsgeführten Ministerien, die auf der Bremse stehen.

Die Motivation eines Whistleblowers ist nicht entscheidend

Einer der Streitpunkte: Der Entwurf sieht vor, dass Behörden und Unternehmen ab einer bestimmten Größe Meldesysteme einrichten müssen - und dass Whistleblower selbst entscheiden können, ob sie erst intern Alarm schlagen oder sich gleich an externe Meldestellen wenden. Kritiker dieser Regelung fokussieren sich dabei gern auf die Gefahr von Falschmeldungen, die, wenn sie nach außen getragen werden, Imageschäden verursachen können. Hinweisgeber sind in dieser Denke immer potenzielle Denunzianten, Menschen also, die andere aus purer Niedertracht anzeigen. Dabei ist letztlich nicht entscheidend, ob ein Whistleblower sympathisch ist oder seinen Arbeitgeber mit Lust verrät. Entscheidend ist, ob seine Vorwürfe stimmen und belegbar sind.

Viele Unternehmen haben bereits eine Meldesoftware, Ombudsleute oder Hotlines, an die sich Mitarbeiter wenden können. Auch Ermittlungsbehörden wie die Landeskriminalämter arbeiten seit Jahren mit Hinweisgebersystemen. Die Erfahrungen zeigen, dass der Anteil an missbräuchlichen Meldungen gering ist. Zudem belegen Studien, dass Whistleblower ohnehin dazu tendieren, zunächst intern einen Missstand anzusprechen. Für viele ist das ein Gebot der Fairness. Manche agieren ganz offen, kontaktieren Kollegen, Vorgesetzte oder Betriebsräte. Erst wenn sie damit nicht weiterkommen oder das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden, wenden sie sich anderen Möglichkeiten zu.

Es ist daher richtig, wenn das neue Gesetz beide Melderichtungen gleichwertig nebeneinanderstellt. Immer der internen Variante den Vorrang zu geben, wie es das Arbeitsrecht bisher vorsieht, geht schlicht an der Praxis vorbei. Schließlich gehört es gerade zum Wesen von Korruption und anderer Wirtschaftskriminalität, dass die Akteure miteinander verstrickt sind und für Mitarbeiter und Außenstehende nicht ersichtlich ist, wer an den Taten beteiligt ist. Wohin hätte sich denn etwa ein Whistleblower beim Finanzdienstleister Wirecard wenden sollen? An die Mitglieder des Vorstands, die mutmaßlich alle für den Bilanzskandal verantwortlich sind und von denen aktuell eines auf der Flucht ist und ein anderes in Untersuchungshaft sitzt?

Es ist daher völlig unverständlich, dass das neue Hinweisgeberschutzgesetz nicht endlich mit breiter Unterstützung aus Politik und Verbänden auf den Weg gebracht wird. Über Details kann man sicherlich streiten. Doch die meisten bisher geäußerten Kritikpunkte lassen sich widerlegen. Was ist es also, das die Gegner stört? Die Macht, die Hinweisgeber vermeintlich haben, kann es nicht sein. Erstens haben die wenigsten Meldungen die Sprengkraft, einen internationalen Skandal auszulösen. Und zweitens: Wenn allein die Initiative einer Einzelperson ausreichen könnte, einen Betrieb mit mehreren Hundert Mitarbeitern existenziell zu gefährden, dann hat diese Firma oder Behörde ein viel größeres Problem als nur die Einrichtung eines Hinweisgebersystems.

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