Die Altenpflegerin, die Missstände in ihrem Heim öffentlich macht - und deshalb gekündigt wird. Der Lastwagenfahrer, der mitbekommt, dass minderwertiges Fleisch umetikettiert wird, das meldet - und aus dem Job gedrängt wird. Es sind Fälle wie diese, die zeigen, dass Whistleblower nicht ausreichend geschützt sind. Wenn Insider auspacken, müssen sie oft einpacken. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) will das ändern. Ihr Ministerium hat jetzt den Entwurf für ein "Hinweisgeberschutzgesetz" fertig gestellt und zur Abstimmung an die anderen Ressorts versandt. Er liegt der Süddeutschen Zeitung vor.
Mit dem neuen Gesetz solle "der bislang lückenhafte und unzureichende Schutz hinweisgebender Personen" ausgebaut werden, heißt es in dem Entwurf. Whistleblower würden "einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung und Ahndung von Missständen" leisten. Trotzdem habe es immer wieder Fälle gegeben, in denen sie "infolge einer Meldung oder Offenlegung von Missständen benachteiligt wurden".
Ziel des Gesetzes sei es deshalb, derartige Benachteiligungen "auszuschließen" und Hinweisgebern Rechtssicherheit zu geben. Whistleblower stünden in einem komplizierten Spannungsverhältnis zwischen dem öffentlichen Interesse an der Aufdeckung von Missständen einerseits und "ihren zivil-, arbeits- und dienstrechtlichen Pflichten andererseits", heißt es in dem Entwurf. Deshalb könne ein potenzieller Whistleblower "selbst mit guter juristischer Beratung" nicht verlässlich einschätzen, ob "er sich durch das Informieren zuständiger Behörden rechtskonform verhält oder nicht". Für Hinweisgeber bleibe "damit ein erhebliches Risiko, wenn sie einen Missstand aufdecken wollen".
Das soll sich jetzt ändern. In Paragraf 35 von Lambrechts Gesetzentwurf heißt es: "Gegen hinweisgebende Personen gerichtete Repressalien sind verboten. Das gilt auch für die Androhung und den Versuch, Repressalien auszuüben." Dabei soll eine Beweislastumkehr gelten. Das heißt zum Beispiel, dass Arbeitgeber nachweisen müssen, dass eine Kündigung nichts mit der Aufdeckung von Missständen zu tun hat. Die neuen Regeln sollen nicht nur für Angestellte, sondern auch für Beamte gelten.
Es sollen zwei Meldekanäle für Missstände geschaffen werden
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass zwei Meldewege für Hinweisgeber eingerichtet werden, "die gleichwertig nebeneinanderstehen und zwischen denen hinweisgebende Personen frei wählen können". Dies soll zum einen ein interner Meldekanal innerhalb des Unternehmens oder der Behörde sein, zum anderen ein externer Meldekanal, der bei einer unabhängigen Stelle eingerichtet werden muss. Die externe Meldestelle des Bundes soll deshalb beim Datenschutzbeauftragten angesiedelt werden. Bei Verstößen gegen Buchführungsregeln, Aktionärsrechte und ähnliches soll die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die externe Meldestelle werden.
Hinweisgeber, die nicht diese Meldewege nutzen, sondern an die Öffentlichkeit gehen, sollen nur unter bestimmten Bedingungen vor Konsequenzen geschützt werden. Etwa dann, wenn sie "hinreichenden Grund zu der Annahme hatten", dass der von ihnen öffentlich gemachte Missstand "eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann".
Verschlusssachen sind ausgenommen
In Lambrechts Gesetzentwurf gibt es noch weitere Einschränkungen. Ausgenommen sind zum Beispiel Verschlusssachen und Informationen, die dem richterlichen Beratungsgeheimnis oder der ärztlichen oder anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Außerdem müssen Whistleblower, die vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Informationen weitergeben, für den entstandenen Schaden aufkommen.
Mit ihrem Gesetzentwurf setzt Lambrecht eine Richtlinie der Europäischen Union in deutsches Recht um. In einem wichtigen Punkt geht sie jedoch darüber hinaus. Der Anwendungsbereich der EU-Richtlinie ist auf das Unionsrecht beschränkt, die Richtlinie schützt also nur die Hinweisgeber, die Verstöße gegen EU-Recht anprangern. Das bedeutet zum Beispiel: Wer ein Datenleck meldet, wäre geschützt - wer Schmiergeldzahlungen aufdeckt, aber nicht. Deshalb bezieht sich der Gesetzentwurf des Justizministeriums nicht nur auf Verstöße gegen europäisches Recht, sondern auch auf Verstöße gegen deutsches Recht.
Einschränkungen bei anonymen Hinweisen
"Um das neue Hinweisgeber-Schutzsystem nicht zu überlasten", sieht der Gesetzentwurf keine Pflicht zur Bearbeitung anonymer Hinweise vor. Denn damit einhergehen würden "nicht nur zusätzliche Kosten für die notwendigen technischen Vorrichtungen, sondern auch die Gefahr von denunzierenden Meldungen und einer Überlastung der Meldestellen". Die neuen Schutzbestimmungen sollen aber auch für anonyme Hinweisgeber gelten, deren Identität später bekannt wird.
Wie viele Missstände über die neuen Wege gemeldet werden, das sei nur "schwer abschätzbar", heißt es in dem Gesetzentwurf. Anhaltspunkte könnte aber ein in Niedersachsen existierendes System zur Abgabe von Hinweisen aus dem Bereich der Korruption und der Wirtschaftskriminalität geben. Dort könne man zwar auch anonym Missstände melden, dafür sei das System nur auf Landesebene angesiedelt und lediglich für einen speziellen Bereich zuständig. Innerhalb von zehn Jahren seien über dieses Portal mehr als 2700 Hinweise eingegangen, aus denen sich - Stand 2019 - fast 900 neue justizielle Ermittlungsverfahren im gesamten Bundesgebiet ergeben hätten.