Süddeutsche Zeitung

Werbung:Wie die Wirtschaft jetzt den Feminismus verkauft

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Immer mehr Unternehmen schmücken sich mit dem Label "feministisch" - und bewerben so Autos, Pizza und Unterhosen. Wer davon kaum profitiert, ist der Feminismus selbst.

Von Pia Ratzesberger

Kauf dir ein Auto, flüstert die Werbung, kauf dir Freiheit, wie sie Männer haben. Kauf dir einen großen Wagen, 449 PS, tritt aufs Gas, röhre über die Straßen. Kauf dir Sportschuhe, flüstert die Werbung, kauf dir Tempo. Kauf dir feste Sneakers, tritt auf die Aschenbahn, sprinte los. Kauf dir alles, was die Männer haben. Kauf dir Emanzipation. Sie ist jetzt einfach zu haben.

Bei Audi zum Beispiel. Die Firma präsentierte zum Superbowl dieses Jahr einen neuen Werbeclip, kein Sportereignis der USA ist größer, nie sind die Einschaltquoten höher: Ein Mädchen brettert in einer Seifenkiste die Piste entlang, darunter der Hinweis, Audi Amerika habe sich gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit verschrieben. Oder bei Mercedes: Zehn Frauen in SUVs, ein Autorennen in Italien, an dem sonst nur Männer teilnehmen. Frauen sollten sich mehr für Autos begeistern, sagt die eine, auch für Rennen. Darunter, mit Link: Maybach G 650 Landaulet, 17 Liter pro 100 Kilometer. Bei Mercedes, bei Nike, bei H&M, das Prinzip ist immer dasselbe. Unternehmen schmücken sich mit dem Label "feministisch" und verkaufen so wahlweise Autos und Shampoos, Magazine und Unterhosen. Der Punk ist kommerzialisiert, die Liebe sowieso, jetzt ist die Frauenbewegung dran. Denn bei ihr gibt es noch viel zu holen.

Die Werbung hat die Frauen viele Jahre nicht ernst genommen, sie ließen sich Sekt in den Bauchnabel laufen und räumten lächelnd den Kühlschrank ein, auch als die Hausfrau längst nicht mehr zu Hause wartete und der Karrieremann nicht mehr Anzug trug. Doch die Unternehmen setzten weiter auf Klischees, je stärker sie Mann und Frau voneinander abgrenzten, desto mehr konnten sie verkaufen: ein Produkt für den Mann, eines für die Frau. "Shrink and pink" hieß das in der Werbebranche, mach es kleiner und mach es pink, dann gefällt es den Kundinnen. Jetzt aber redet die sexistische Werbebranche selbst über Sexismus, die Firmen haben eingesehen, dass sie mit ihren reduzierten pinken Produkten auch die Frauen reduzieren - und im schlechtesten Fall die Hälfte der möglichen Kundschaft verprellen.

Die Einsicht kommt zufällig in einer Zeit, in der Frauen immer mehr arbeiten, immer mehr verdienen und Vermögen anhäufen. "Frauen sind das neue China", sagte Dieter Zetsche einmal, der Chef der Daimler AG, zu der auch die Marke Mercedes gehört. Und das neue China wird umworben, jedes halbe Jahr bringt das Unternehmen ein Magazin namens "She's Mercedes" heraus, es gibt eine eigene Webseite, Events mit gleichem Namen. Die Kampagne solle "Frauen dazu befähigen, ihr volles Potenzial zu entfalten" und zwar am liebsten die "karriere- sowie erfolgsorientierten Frauen".

Die Publizistin Laurie Penny nennt solche Frauen spöttisch "Heldinnen des Neoliberalismus". Die guten, ehrgeizigen Feministinnen, die im System nach oben streben, aber das System selbst nicht in Frage stellen. Der Feminismus aber tut das wohl, ihm geht es um Gleichstellung von Männern und Frauen, wohlgemerkt von allen Frauen. Egal welcher Hautfarbe, welcher sexueller Orientierung, auch welchen Einkommens. Der Wirtschaft nicht.

Die Schweizer Banken UBS und Credit Suisse haben vor Kurzem bekannt gegeben, ihre Finanzberatung in Zukunft ansprechender für Frauen zu gestalten. Wieso? Nun, die Unternehmensberatung Boston Consulting schätzt, dass ein Drittel des privaten Vermögens weltweit im Besitz von Frauen ist. Tendenz steigend. Im Jahr 2020 sollen es 70 Billionen Euro sein.

Feminismus war lange Emma und Achselhaare, zumindest nahm ihn die Masse so wahr. Wer sich als Feminist(in) bezeichnete, war verdächtig. Heute sind das eher jene, die sich nicht als Feministen bezeichnen, und deshalb nennt sich jeder so, zieht sich ein T-Shirt über, auf dem "This is what a feminist looks like" steht, so sieht ein Feminist aus. Das Wort feministisch ist zu einem positiv besetzten Label geworden, wie nachhaltig oder biologisch. Ein Adjektiv, das den Wert eines Produkts sofort steigert, denn es vermittelt dem Käufer das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Die Werbebranche hat dafür einen eigenen Begriff gefunden: Femvertising.

Die Strategie haben noch nie so viele angewandt wie heute, auch wenn es den Ansatz schon vor Jahrzehnten gab. In einer Zeit, in der sich Rauchen für Frauen noch nicht schickte, stilisierte zum Beispiel Lucky Strike die Zigarette zum Zeichen des Protests. Die Firma organisierte 1929 auf der Fifth Avenue in New York einen Marsch für Gleichberechtigung, eigens engagierte Demonstrantinnen reckten Lucky Strikes als "Fackeln der Freiheit" in die Lüfte - der Anteil der Zigarettenkäuferinnen im Land stieg an.

Die amerikanische Autorin Andi Zeisler, die das feministische Magazin Bitch mitbegründet hat, schreibt heute in ihrem Buch "Wir waren doch mal Feministinnen" vom Marktfeminismus. Sie kritisiert, dass derzeit vieles als "feministisch" verkauft werde, nur weil es nicht explizit frauenverachtend sei - oder sogar wenn es das sei. Zeisler nennt das absurde Beispiel eines amerikanischen Herstellers von Tiefkühlkost, der seine neue Diätpizza vor ein paar Jahren mit folgenden Worten anpries: "Das Frauenstimmrecht. Der Vater, der zu Hause bei den Kindern bleibt. Der Push-up-BH. Die Pizza von Lean Cuisine". Es ist bereits fraglich, warum der Push-up-BH eine feministische Errungenschaft sein soll, was aber eine Fertigpizza mit Feminismus zu tun hat, erschließt sich wohl nur der Firma selbst. Was ist das für ein Feminismus, der da verkauft wird? Ein unpolitischer. Aber ein hervorragend konsumierbarer.

Werbung hat enormen Einfluss auf die Menschen, auf ihr Verhalten, sie prägt deren Blick auf die Welt. Zeigt die Werbebranche nicht mehr nur Frauen im Bikini, sondern Frauen im SUV, im Schlamm, im Management, kann das Stereotype verändern. Das Gleiche gilt, wenn nicht mehr nur schlanke, weiße Frauen mit Unizeugnis zu sehen sind, sondern auch alle anderen. Doch Werbung lebt von Inszenierung, nicht von Inhalten. Diese Bilder verbinden sich nicht mit politischen Forderungen, die der Kern der Frauenbewegung waren und immer noch sein sollten. Und selbst wenn Audi Amerika dann im Werbeclip zum Superbowl die ungerechte Bezahlung von Frauen thematisiert, muss man nur in den Vorstand des Unternehmens schauen, um zu verstehen, wie ernst es ihm selbst mit dem Feminismus ist: Dort sitzen acht Männer und zwei Frauen. In Deutschland sind es sieben Männer.

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Quelle:
SZ vom 29.07.2017
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