Süddeutsche Zeitung

VW:Volkswagen verstrickt sich im Boni-Krieg

Lesezeit: 4 Min.

Von Thomas Fromm und Klaus Ott, Wolfsburg

Früher war die Volkswagen-Welt einfach. Immer mehr verkaufte Autos, dazu zufriedene Mitarbeiter mit üppigen Jahresprämien und hohe Gewinne. Da störte es niemanden, nicht einmal den Betriebsrat, dass die Vorstandsmitglieder hohe Millionenboni kassierten. Martin Winterkorn, der damalige Konzernchef, kam so auf insgesamt fast 16 Millionen Euro im Jahr, bei nicht einmal zwei Millionen Euro Grundgehalt. "Herr Winterkorn ist jeden Cent wert", sagte VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh vor zwei Jahren. Nun ist Winterkorn schon gleich nach der Dieselaffäre im September zurückgetreten, und auch sonst haben sich wegen des Skandals viele Dinge geändert in Wolfsburg.

Die Gewerkschaft verlangt klare Ansagen statt "blumiger Beschreibungen"

Kunden sind verstört, Mitarbeiter sorgen sich um die Zukunft des Konzerns und um ihre Jobs. Nur eines hat sich offenbar nicht geändert: Das Interesse des jetzt von Matthias Müller angeführten Vorstands an Bonuszahlungen, die trotz der Krise möglich wären, da sie auch auf der Arbeit der vergangenen zwei bis vier Jahre beruhen. Und da lief es ja noch gut bei VW.

In Teilen des Aufsichtsrats wird das angebliche Ansinnen des Vorstands mit Kopfschütteln bis Empörung registriert. Und in der IG Metall ist gar von einem "Krieg um die Boni" die Rede. Eigentlich, heißt es in Gewerkschaftkreisen, müsste der Vorstand ganz oder weitgehend auf Boni verzichten und so ein Signal aussenden: "Wir haben verstanden." Dass diese Debatte überhaupt laufe, schade VW sehr. In der Konzernzentrale wird die Verantwortung dafür dem Aufsichtsrat zugeschoben. Der lege schließlich die Boni fest. Jeder gegen jeden, so sieht es derzeit aus bei VW. In dieser Lage äußert sich auch IG-Metall-Chef und Aufsichtsrat Jörg Hofmann, der bislang zurückhaltend agierte, erstmals recht deutlich. Es werde zu einer "signifikanten Reduzierung" der Boni kommen, sagte Hofmann der Deutschen Presseagentur. "Wir werden unseren Einfluss geltend machen." Hofmann beklagt, es gebe keine klare Linie vom Vorstand. Der Konzern brauche konkrete Zusagen zur Zukunft der Standorte, zu Arbeitsplätzen und Produkten, statt "blumiger Beschreibungen". Der IG-Metall-Chef gehört dem Aufsichtsrat schon seit einem halben Jahr an, ohne bislang groß aufzufallen. Insofern sind Hofmanns Worte eine Art Ansage: So geht es nicht weiter.

Die Zeit drängt, es brennt an allen Frongen, nicht nur im Verhältnis zwischen Betriebsrat und Management. Während in Wolfsburg über Bonizahlungen diskutiert wird, steht der Konzern vor den vielleicht wichtigsten Wochen seiner Geschichte. Jetzt ist der Aufsichtsrat gefordert, der übernächste Woche tagt. Am 28. April dann wird die Bilanz für 2015 vorgelegt, die so schlecht wie lange nicht ausfallen könnte. In der Abgas-Affäre drohen horrende Strafzahlungen vor allem in den USA, die Autos verkaufen sich schlechter, und insbesondere die Stamm-Marke VW schwächelt weiterhin.

Die Szenarien sind bedrohlich: Sollte der Vorstand die Krise nicht in den Griff bekommen, sollten die Belastungen zu hoch werden, dann müsste sich Müller im Zweifelsfall für den Verkauf einzelner Konzernteile entscheiden - auch gegen Widerstände im Unternehmen.

In Wolfsburg rechnen sie gerade alles durch - auch wenn niemand weiß, was der Konzern am Ende zahlen muss. 30 Milliarden? 50 Milliarden? Noch mehr?

Nachdem die Affäre bekannt wurde, hatte der Konzern 6,7 Milliarden Euro zurückgelegt - vor allem für die Umrüstung der elf Millionen Dieselfahrzeuge. Da war schon klar: Reichen wird dies kaum. Im Gespräch ist nun, für 2015 einen zweistelligen Milliardenbetrag zurückzulegen, um alle möglichen Risiken abzudecken.

Folge: VW würde für 2015 einen Milliardenverlust ausweisen - nach Jahren steigender Gewinne. Das hätte weitreichende Folgen. Ein Konzern mit roten Zahlen könnte schwerlich noch eine Dividende an die Aktionäre ausschütten - die Auswirkungen wären gravierend. Der Staatsfonds aus Katar, der 17 Prozent der Stammaktien und damit der Stimmrechte hält, ist wegen der Abgas-Affäre ohnehin unzufrieden mit VW. Keine Dividende, das hieße, die Kataris wären noch unzufriedener. Hinzu kommen die vielen Investoren, die einen großen Teil der Vorzugsaktien halten, mit denen kein Stimmrecht verbunden ist.

Bekämen diese Investoren zwei Jahre hintereinander keine Dividende, dann könnten sie ein Sonderstimmrecht erhalten. Die Aktionäre, die derzeit das Sagen haben, würden dadurch einen Teil ihrer Macht verlieren. Das sind die Milliardärs-Familien Porsche und Piëch und das Land Niedersachsen. Die beiden Familien haben gut verdient an VW, und das Land war schon immer ein großer Schutz für die Belegschaft vor Stellen-Streichungen und Sparmaßnahmen. Hinzu kommt der traditionell große Einfluss von Betriebsrat und Gewerkschaft. Das könnte sich mittelfristig alles ändern, aus Volkswagen könnte - Ironie der Geschichte - im Zuge der Dieselaffäre ein ganz normales Unternehmen werden.

Noch halten die Porsches und Piëchs die Zügel in Wolfsburg fest in der Hand, und sie lassen sich, wie immer, nicht in die Karten schauen. Aus dem Umfeld der Familien sind nur ein paar dürre Ansagen zu vernehmen. Wie viel Geld bei VW jetzt wegen der Affäre zurückgelegt werde, sei noch nicht entschieden. Auch die Höhe der Dividende stehe noch nicht fest. Die Spannbreite belaufe sich von "null bis niedrig". Und was ist mit den Vorstands-Boni? Die werde es sicher geben, heißt es dort - die Frage sei nur, in welcher Höhe.

In Wolfsburg hat man inzwischen offenbar verstanden, dass das Boni-Thema zur Unzeit kommt. Angeblich wolle der Vorstand einlenken, wird in Konzernkreisen in Wolfsburg verbreitet, denn: Der Vorstand wolle "Vorbild sein bei der Anpassung der Vergütung". Am Ende wird es um die Frage gehen, auf wie viel Geld die Manager verzichten wollen. Die Spannbreite ist groß: Sie könnten auf einige Hunderttausend Euro verzichten, sie könnten aber auch einige Millionen Euro ablehnen - aus gegebenem Anlass. Möglichst freiwillig, versteht sich.

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Quelle:
SZ vom 09.04.2016
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