Süddeutsche Zeitung

Dieselskandal:VW und sein Chef müssen bangen

Lesezeit: 4 min

Von Max Hägler und Klaus Ott, München

Martin Winterkorn und Rupert Stadler vor Gericht; in langen Prozessen, in denen die Manipulationen, Missstände, Verfehlungen und eine ehedem verheerende Unternehmenskultur im Detail aufgearbeitet werden: Allein dieses Szenario ist schlimm genug für Volkswagen. Für jenen Konzern, der unter Vorstandschef Winterkorn und mit Stadler an der Spitze der VW-Tochter Audi auf Rekordjagd war. Noch mehr Autos, noch mehr Umsatz, noch mehr Gewinn. Und dann das: Abgasaffäre, Anklagen in Braunschweig und in München wegen Betrugsverdacht gegen die beiden einstigen, tief gefallenen Spitzenverdiener. Die ihre Unschuld beteuern, die aber im nächsten Jahr wohl vor Gericht stehen werden und sich dort gegen gravierende Vorwürfe verteidigen müssen.

Es könnte aber noch viel schlimmer kommen für Volkswagen. Auch Herbert Diess und Hans Dieter Pötsch könnten angeklagt werden und vor Gericht kommen. Der heutige Vorstandschef, der den Aufbruch verkörpern soll, und der Aufsichtsratsvorsitzende viele Monate lang auf der Anklagebank, das wäre ein Albtraum für Volkswagen. Und das mitten im Umbruch der Autoindustrie; in einer Zeit, in der sich entscheiden muss, welche Chancen die Autogiganten von heute morgen noch haben. Ob sie mit neuen, umweltfreundlichen Fahrzeugen und neuer Technik noch bestehen können gegen neue Konkurrenten.

Ob das Albtraum-Szenario Wirklichkeit wird, dürfte bald feststehen. Bis zum oder spätestens im Herbst will die Staatsanwaltschaft Braunschweig entscheiden, ob sie Diess und Pötsch anklagen wird. Man befinde sich auf der "Zielgeraden", heißt es aus Justizkreisen. Den beiden wird anders als Winterkorn und Stadler nicht Betrug von Autokunden vorgeworfen, weil schmutzige Dieselfahrzeuge als sauber verkauft worden seien. Diess und Pötsch wird ebenso wie Winterkorn (dem damit eine weitere Anklage droht) vorgehalten, im Sommer 2015 die VW-Aktionäre zu spät informiert zu haben über drohende finanzielle Folgen der Abgasmanipulationen, die den Konzern inzwischen weit mehr als 20 Milliarden Euro gekostet haben.

Marktmanipulation heißt das in der Juristensprache. Erst als US-Behörden im September 2015 die Verfehlungen enthüllten, erfuhren die Anteilseigner, was geschehen war. Erst dann unterrichtete VW die Börse und warnte davor, dass dies den Konzern schwer belasten könnte. Die Aktionäre mussten einen Kurssturz ihrer Aktien hinnehmen; viele von ihnen verklagen den Konzern - es geht um insgesamt fast zehn Milliarden Euro Schadenersatz. Volkswagen sowie Diess, Pötsch und Winterkorn behaupten bis heute, man hätte die Aktionäre nicht früher informieren können und müssen. Doch diese Version wird nicht so leicht haltbar sein, zumindest bei Winterkorn. Er müsse sich, sagen viele Verfahrensbeteiligte, auf eine Anklage auch wegen Marktmanipulation einstellen.

Die besten Chancen, in dieser Causa ohne Anklage und Prozess davonzukommen, hat trotz allem Diess. Der zupackende, keinen Konflikt scheuende Vorstandschef war in jenen heiklen Wochen und Monaten bei Volkswagen im Sommer 2015 von BMW aus München nach Wolfsburg gekommen. Er war neu im Konzern, er musste sich erst einfinden. Er hatte nichts zu tun mit den alten Seilschaften, der alten Unternehmenskultur, die auf Befehl und Gehorsam fußte, den alten Missständen. Gleichwohl wird es Diess ebenso wie Pötsch nicht leicht haben, einer Anklage zu entgehen. Weil neben allen Details, wer wann was erfuhr und dann unternahm oder gerade eben nicht, auch noch ein anderer Faktor nicht unwichtig ist.

Wie steht eine Staatsanwaltschaft da, die jahrelang gegen große Namen ermittelt, dann aber nur ehemalige Größen anklagt? In diesem Fall kommt erschwerend hinzu, dass auch die Politik eine Rolle spielt, indirekt zumindest. Das Land Niedersachsen ist einer der Hauptaktionäre von VW, dem größten Arbeitgeber in Niedersachsen. Wird nur Winterkorn wegen Marktmanipulation angeklagt, und vielleicht noch Pötsch, nicht aber Diess, dann könnte leicht ein vermutlich falscher Eindruck entstehen. Nämlich der, dass Staatsanwälte Rücksicht nähmen auf ihren Dienstherren, auf Niedersachsen. Weil das Land mitten in dieser Umbruchphase in der Autoindustrie kein Interesse daran habe, dass VW gelähmt werde, weil der Vorstandschef auf der Anklagebank sitze.

Aus Sicht der Ermittler hätte Diess mehr tun können, um die Manipulationen aufzuklären

Für eine politische Einflussnahme auf die Ermittlungen gibt es nicht den geringsten Hinweis. Ministerpräsident Stephan Weil, der im Aufsichtsrat von VW sitzt, gilt als absolut korrekt. Was bei Staatsanwälten in solchen Verfahren manchmal aber auch zählt, auch wenn das niemand zugeben würde, ist der öffentliche Eindruck. Ermittler neigen bei prominenten Managern gelegentlich dazu, auf alle Fälle anzuklagen. Und die Justiz neigt dann gelegentlich dazu, Prozesse anzusetzen, an deren Ende dann Freisprüche oder Quasi-Freisprüche stehen. Damit eben nicht der Eindruck entsteht, man hänge die Kleinen und lasse die Großen laufen.

Und natürlich ist es nicht so, dass Diess völlig unbelastet wäre. Dass die Ermittler nun überhaupt nichts gegen den Vorstandschef in der Hand hätten. Es gibt schon Zweifel, ob der damals Neue bei VW alles getan hat, was in seiner Macht stand, als er kurz nach seinem Amtsantritt von offenbar illegalen Tricksereien in den USA erfuhr. Diess war, das belegen viele Akten und Zeugen, wiederholt befasst mit den Abgasmanipulationen. Und nicht immer sieht es im Nachhinein gut aus, was der heutige Vorstandschef damals unternahm beziehungsweise eben nicht unternahm. Diess scheint sich sehr darauf verlassen zu haben, dass Winterkorn und andere alles in Ordnung bringen würden. Zu sehr? Der mächtigste Mann im Konzern war damals eben Winterkorn. Aber aus bisheriger Sicht der Ermittler hätte Diess eben mehr tun können oder gar müssen, um aufzuklären und die Aktionäre zu informieren. Insofern könnte es auch ihn (und auch Pötsch) mit einer Anklage treffen, und einem langen Prozess. An vielen Verhandlungstagen, wahrscheinlich würden es viele Dutzend sein, würden die beiden dann ausfallen bei der Führung des Unternehmens.

Es gilt für Diess, den Überblick zu behalten über zwölf Tochterfirmen, von Audi bis Porsche. Und den wichtigsten Markt China, den der Vorstandschef unbedingt selbst betreuen möchte, verbunden mit etlichen Langstreckenflügen. Zudem will Diess gegen Widerstand im eigenen Haus und in der Branche und trotz Skepsis vieler Kunden den Konzern zu einem Elektroauto-Hersteller machen. Der 60-Jährige strengt allerlei Partnerschaften an, um die technologischen Umbrüche in der Branche zu bewältigen, mit Ford, Microsoft oder Amazon. Große Geschäfte, die immer wieder auch seiner persönlichen Betreuung bedürfen: So knapp und effizient Diess gern das Tagesgeschäft führt, sein Erfolgsrezept ist auch das spontane, persönliche Gespräch in entscheidenden Momenten. Nebenbei ist er noch Aufsichtsrat beim FC Bayern München, wo es ebenfalls kräftig rumpelt.

Von der Anklagebank aus könnte Diess den Autokonzern gerade in diesen Zeiten nur schwer führen. Für die Ermittler darf das kein Kriterium sein, sonst gäbe es ja einen Bonus für Konzernchefs. Was nicht vorgesehen ist in einem Rechtsstaat. Ein Malus für prominente Manager, um einen falschen Eindruck in der Öffentlichkeit zu vermeiden, ist freilich auch nicht vorgesehen in einem Rechtsstaat.

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SZ vom 05.08.2019
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