Süddeutsche Zeitung

Autokonzerne:VW und Ford stürzen sich gemeinsam ins Ungewisse

Lesezeit: 3 min

Von Max Hägler und Angelika Slavik, Hamburg

Volkswagen ist eigentlich ein Konzern, der sich penibel inszeniert, vor allem wenn er etwas zu verkünden hat. Lichteffekte, dramatische Musik, ein paar sündteure Imagefilme, so mögen sie das in Wolfsburg. Diesmal aber gibt es nur eine Logowand und schlechte Beleuchtung. Die Veranstaltung, die Volkswagen per Video aus einem Hotel an der Wall Street in New York City in die ganze Welt überträgt, wirkt optisch so sexy wie ein Volkshochschulkurs über Telefonbuchbeschriftung.

Dabei ist das, was hier verkündet wird, ein großer Schritt für Volkswagen und seinen ehrgeizigen Konzernchef Herbert Diess: VW weitet seine Kooperation mit dem US-Autohersteller Ford aus. Die beiden Unternehmen machen künftig bei E-Autos und autonomem Fahren gemeinsame Sache. Also bei jenen Feldern, die für die Branche die größten Chancen, aber auch die größten Risiken bereithalten.

Die Konzerne kooperierten bislang bereits bei Lieferautos, die Zusammenarbeit bei den beiden größten Herausforderungen der Autoindustrie ist aber von ungleich größerer Bedeutung für VW. Mehr als sechs Milliarden Euro habe der Konzern seit 2016 aufgewendet, um E-Autos zu entwickeln, vor allem für den Modularen E-Antriebs-Baukasten (MEB), sagt Diess - ein System aus miteinander kompatiblen Bauteilen, das langfristig Kosten senken soll, aber in der Entwicklung teuer ist. Nun gebe es die Möglichkeit, diese Kosten zu verteilen: 600 000 Baukästen werde Ford abnehmen, in Aussicht stehe sogar das doppelte Volumen.

Damit komme VW dem Ziel näher, mit der Grundplattform einen "Industriestandard" zu schaffen: Über die höheren Stückzahlen komme man zu niedrigeren Stückkosten und mache so die Wagen erschwinglicher für die Kunden, die weltweit immer noch nicht recht überzeugt sind vom Elektroantrieb. Und da in Zeiten der Elektromobilität die Autos technisch sowieso "immer ähnlicher" würden, wie Diess sagt, könne man dort kooperieren und mehr Augenmerk auf unterschiedliches Design legen.

Der mit einem Ford-Namenszug geschmückte VW soll ab dem Jahr 2023 fahren, aber vorerst nur in Europa. Dort seien die Verbrauchsnormen strenger als in den USA, sagt Ford-Chef Jim Hackett, also brauche Ford vor allem dort emissionsfreie Modelle. "Ich möchte, das jeder versteht, wie wichtig das ist", sagt Hackett.

"Ford hat keinerlei Elektroautos und absolut nichts in der Pipeline in Europa"

Ford kann gute Nachrichten brauchen, denn der zweitgrößte US-Autokonzern tut sich schwer in Europa - auch deshalb, weil die Regularien und die Kundenwünsche so anders sind als auf dem Heimatmarkt. Die Stückzahlen sind zu klein, die Entwicklungskosten zu hoch. Gerade werden Tausende Stellen gestrichen. Die neue Allianz soll Ford nun eine "Renaissance" im Europageschäft einbringen, das von Köln aus geführt wird. Insofern sei die Kooperation ein Gewinn für Ford, aber auch für VW, sagt Hackett. Und sein "Friend Herbert" sehe das übrigens genauso.

Herbert Diess hatte bei Roboterwagen eigentlich eine Zusammenarbeit mit seinem früheren Arbeitgeber BMW angestrebt. Doch das scheiterte wohl vor allem aus Gründen des Kartellrechts. Bei der Automesse in Genf im März war er merklich geknickt, sprach von einer "Enttäuschung". Und davon, dass man sich nun anderswo umschauen müsse. Das Ergebnis ist eine Beteiligung an der US-Firma Argo, in die bisher vor allem Ford investiert hat. Und die, so sagt es Ford-Chef Hackett, trotz des neuen Partners VW vor dem gleichen Problem steht wie alle Roboterentwickler: Derzeit fahre man mit den Testwagen in einfachem Umfeld, also in Städten mit breiten Straßen, auf denen nur ältere Herrschaften fahren. "Stadt für Stadt" sollen die Computer nun das echte, schwierige Leben erschließen. Gemeinsam soll das schneller und kostensparender gehen, so wie es auch BMW mittlerweile mit Daimler plant. Die Europazentrale von Argo soll in München angesiedelt sein, wo auch die VW-Tochter Audi ihre Roboterforschung hat. Ab dem Jahr 2025 soll die Technik in Serie gehen. Dass das auch klappt, wollen jedoch weder Diess noch Hackett versprechen. "Es liegt noch ein verdammt langer Weg vor uns", sagt Diess.

Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer, Professor an der Universität Duisburg-Essen, sieht in der Kooperation jedenfalls einen schlauen Schachzug für beide Seiten. "Ford hat keinerlei Elektroautos und absolut nichts in der Pipeline in Europa." Mit dem Zugriff auf den MEB-Baukasten von VW schaffe der Konzern nun den Einstieg in die Elektromobilität und vermeide dadurch Strafen durch die EU, die andernfalls von 2022 an fällig würden.

VW wiederum, so Dudenhöffer, profitiere besonders stark im Bereich des autonomen Fahrens. Die Entwicklung der Technologie ist teuer und aufwendig, wann und wie viel Gewinn sie einbringen wird weiterhin völlig offen. Es sei sinnvoll für beide Seiten, das gemeinsam anzugehen. Zumal Tech-Konzerne wie Google, Apple, Amazon und Uber in diesen Markt drängten. Es gebe "nur Gewinner" - wenn die Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Amerikanern denn auch wirklich gelinge.

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SZ vom 13.07.2019
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