Süddeutsche Zeitung

Volkswagen:Was ist los bei Volkswagen?

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Volkswagen macht seinem Ruf als Drama-Konzern wieder alle Ehre. Mehrere Top-Manager verlieren ihre Posten. Die Machtverhältnisse verschieben sich.

Von Max Hägler und Angelika Slavik

Natürlich ist Volkswagen kein normaler Konzern. Der größte Autohersteller der Welt ist stets von ein bisschen Drama umgeben: Ob Machtkämpfe oder Technikprobleme, Sparprogramme oder Modellentwicklung - Wolfsburg kommt immer daher wie eine Mischung aus "House of Cards" und "Gute Zeiten, schlechte Zeiten". Geräuschlos und nüchtern? Also bitte, wir sind ja nicht bei BMW.

Aktuell aber sind die Zeiten sogar für VW-Verhältnisse bemerkenswert bewegt. Denn beinahe im Tagesrhythmus verlieren Top-Manager des Konzerns ihre Posten. Allein in der vergangenen Woche wurden die Abgänge von Thomas Sedran, bislang Chef der Nutzfahrzeugsparte, Škoda-Chef Bernhard Maier und des Lkw-Vorstands Andreas Renschler verkündet. Und nun trifft es auch einen Mann an besonders exponierter Position: Christian Senger, Chef der Software-Sparte, ist seinen Job los, verlautet aus Konzernkreisen. Was ist los bei Volkswagen?

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wäre Sengers Abgang als Software-Chef die logische Folge der Software-Probleme im Konzern. Da gab es die - mittlerweile behobene, aber sehr peinliche - Panne beim Notruf-System im neuen Golf VIII. Und, weitaus gewichtiger, die beschränkten Fahrassistenzfunktionen beim ID.3, der im September auf den Markt kommen soll. Das Elektroauto ID.3 sollte eigentlich ein "Smartphone auf Rädern" sein, das Auto, mit dem VW Tesla das Fürchten lehren wollte. Dazu wird es zumindest zum Marktstart nicht kommen. Die Software wird hinter jener von Tesla zurückbleiben, daraus macht auch VW kein Geheimnis mehr.

Senger und seine Leute kamen erst dazu, als die Lage schon verfahren war

Aber diese Probleme sind nicht der Hauptgrund für Sengers Machtverlust. Senger und seine Leute waren nicht von Anfang an für den ID.3 verantwortlich, sie kamen erst hinzu, als die Lage schon verfahren war. Nein, die Veränderung bei der Softwareentwicklung hat mit veränderten Machtverhältnissen im Konzern zu tun - und mit Audi als wiedererstarkendem Herz des Unternehmens.

VW-Konzernchef Herbert Diess hat im Frühjahr seinen Vertrauten Markus Duesmann zum Audi-Chef gemacht. Dabei hat er ihm gleich auch die konzernweite Technikentwicklung überantwortet, zu der auch die Car.Software.Org. gehört. In dieser Einheit wurde nach langem Hin und Her die Softwareentwicklung des Konzerns konzentriert, offiziell gestartet ist sie erst Anfang dieses Monats unter Führung Sengers. Der ist also nach weniger als zwei Wochen im Amt seinen Posten wieder los.

Die Topmanager Diess und Duesmann kennen sich sehr lange aus gemeinsamen BMW-Zeiten. Beide sind von ähnlicher Umtriebigkeit - lieber machen als viel reden ist ihre Herangehensweise. Und sie fordern das von den anderen auch. Senger hat fachlich einen sehr guten Ruf, allerdings war er politisch ungeschickt. In seinem Umfeld beklagt man mangelnde Kommunikation, er habe es nicht verstanden, in dem von Eitelkeiten und Empfindlichkeiten geprägten Konzern auch jenseits fachlicher Fragen Menschen von sich zu überzeugen.

Es ist kein Zufall, dass Senger, Diess und Duesmann alle von BMW kommen und zumindest Diess und Senger mit den spezifischen Wolfsburger Gepflogenheiten so ihre Schwierigkeiten haben. Über Senger erzählt man etwa, er habe das sogenannte "D-Ressort" der Digitalexperten gegen sich aufgebracht, als er sie ohne große Rücksprache in die neue Software-Einheit eingliedern wollte. Das mag fachlich sinnvoll sein, war politisch aber komplex - Senger musste sich geschlagen geben und den Schritt wieder rückgängig machen. Zudem ist Duesmann ein Typ, der lieber direkt den Zugriff auf die Entwickler und Software-Leute hat. Die Vorstellung von Senger als zwischengeschaltetem CEO sei ihm da lästig gewesen.

Die Umbrüche, die nun nach und nach sichtbar werden, haben auch mit den Aufsichtsratssitzungen vor ein paar Wochen zu tun. Damals, das war Anfang Juni, traf sich das Kontrollgremium binnen weniger Tage gleich mehrfach zu Beratungen, die Stimmung war angespannt: Der Job des Konzernchefs Diess stand zur Debatte. Denn zunächst hatten Presseberichte über die Software-Probleme bei Golf und ID.3 für Unruhe gesorgt, dann verlor der sonst so abgezockte Diess die Nerven und warf den Aufsichtsräten bei einer internen Veranstaltung "Rechtsbruch" vor, weil interne Probleme immer nach außen geraten. Dabei ist das ein ehernes Wolfsburger Gesetz, das Diess nach mehr als zwei Jahren im Amt nun eigentlich kennen müsste: Geheim bleibt überhaupt nichts.

Es ist ein ehernes Wolfsburger Gesetz, das Diess kennen müsste: Geheim bleibt überhaupt nichts

Bei den Beratungen konnte Diess seinen Job schließlich retten, aber in diesen Sitzungen kam alles aufs Tapet - man einigte sich auf Umbrüche, die nun umgesetzt werden: Wer für das Wohl des Gesamtkonzerns nicht hilfreich ist, wird entmachtet.

Das trifft im Besonderen auf den Škoda-Chef Bernhard Maier zu. Wenn man allein die Zahlen anschaut, die die Konzerntochter aus Tschechien erwirtschaftet hat, machte Maier in seinen fünf Amtsjahren einen hervorragenden Job. Aber genau hier ist der Trennungsgrund zu finden: Maier hat Škoda als günstigere, aber genauso ansehnliche Variante der Marke VW entwickelt. Wer einen VW T-Roc haben möchte, nur günstiger, kauft eben einen Škoda Karoq. So ist das bei vielen Modellen: Škoda und VW sind so ähnlich positioniert, dass sie sich "kannibalisieren". Das führt zu hübschen Zahlen in Tschechien, ist aber aus Konzernsicht unsinnig.

Diess, auch die anderen Mächtigen in Wolfsburg, wollten Škoda im Billigsegment positionieren. Dort hat VW nichts im Angebot. Maier wollte lieber machen, was Škoda Rekorde bescherte. Zudem heißt es, Maier habe allzu deutlich Ambitionen auf Diess' Nachfolge unterstrichen, das sei nicht gut angekommen.

Die Umbrüche sind auch ein Versuch, die holprige Ära Diess zu retten. Aufzubrechen, was der Konzernchef als verkrustet moniert, auszuhalten, was Diess gestalten nennt. Ob es funktioniert? Die nächsten Folgen im VW-Drama kommen. So oder so.

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Quelle:
SZ vom 14.07.2020
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