Süddeutsche Zeitung

Anklage gegen Volkswagen-Manager:Das sind die Vorwürfe gegen Diess, Pötsch und Winterkorn

Lesezeit: 4 min

Von Max Hägler

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat die amtierenden VW-Manager Herbert Diess und Hans Dieter Pötsch sowie den ehemaligen VW-Chef Martin Winterkorn wegen Marktmanipulation angeklagt. Ihnen wird vorgeworfen, Anleger im Jahr 2015 nicht rechtzeitig über die Risiken und finanziellen Folgen der Dieselaffäre informiert zu haben. Das teilten die Strafverfolger am Dienstag mit.

Die Staatsanwälte hatten untersucht, ob die VW-Manager früher als bisher eingeräumt von konkreten Täuschungen bei den Abgasdaten in den USA wussten. Den Ermittlungen zufolge war dies der Fall. "Den Angeschuldigten sei aufgrund der sich aus der Brisanz der Thematik ergebenden erheblichen finanziellen Folgen bewusst gewesen, dass diese dem Kapitalmarkt mitzuteilen gewesen wären", teilte die Staatsanwaltschaft mit. Im Raum habe eine mögliche Belastung in Höhe von 23 Milliarden Dollar gestanden. Die drei Manager hätten jedoch "jeder für sich bewusst und gewollt" von der erforderlichen Meldung an die Aktionäre abgesehen, um den Börsenkurs der VW-Aktien auf dem bisherigen Stand zu halten und Verluste zu vermeiden. Die VW-Manager hätten die Strategie verfolgt, ohne Offenlegung aller relevanten Umstände mit den US-Behörden einen Vergleich zu erzielen, so die Staatsanwaltschaft. Die Taktik sei gewesen, von technischen Problemen zu reden, nicht aber von einem Betrug gegenüber Behörden und Kunden.

Der Volkswagen-Konzern wies die Vorwürfe am Dienstag zurück. "Das Unternehmen hat in den zurückliegenden nahezu vier Jahren den Sachverhalt akribisch mit Unterstützung von internen und externen Experten untersucht", erklärte Rechts-Vorständin Hiltrud Werner. Das Ergebnis sei eindeutig: "Die Vorwürfe sind unbegründet." Sollte es zu einem Prozess kommen, sei man überzeugt davon, dass sämtliche Vorwürfe sich als haltlos erweisen würden. Auch die Strafverteidiger der drei Angeschuldigten wiesen die Vorwürfe als komplett unbegründet zurück.

VW hatte im Herbst 2015 nach Prüfungen von US-Umweltbehörden und -Forschern zugeben müssen, die Abgas-Software bestimmter Dieselmotoren so eingestellt zu haben, dass in Schadstofftests deutlich weniger giftige Stickoxide (NOx) ausgestoßen wurden als im tatsächlichen Betrieb auf der Straße. Am 18. September 2015 wurden die Manipulationen durch US-Behörden öffentlich bekanntgemacht. VW musste seitdem mehr als 30 Milliarden Euro an Strafen und Schadenersatz zahlen.

Die nun erfolgte Anklage in Braunschweig geht nicht speziell der Frage nach, wer zu welchem Zeitpunkt die Manipulation angeordnet hatte, das wird aller Voraussicht nach in zwei anderen Betrugs-Strafverfahren in Braunschweig und München ermittelt; jedenfalls haben die dortigen Behörden in diesem Jahr Anklage erhoben. Das jetzt im Lichte stehende Verfahren, sofern das Landgericht Braunschweig es zulässt, soll klären, wann die VW-Verantwortlichen die Tragweite hätten erkennen müssen - und die Aktionäre hätten informieren müssen.

Die Staatsanwaltschaft ist jedenfalls der Meinung, dass dies früher hätte geschehen müssen: Der Angeschuldigte Martin Winterkorn hätte spätestens seit Mai 2015, der Angeschuldigte Pötsch seit dem 29. Juni 2015 und der Angeschuldigte Diess seit dem 27. Juli 2015 "jeweils vollständige Kenntnis von den Sachverhalten und den daraus sich ergebenden erheblichen Schadensfolgen" gehabt.

Bereits im Sommer 2015 spitzte sich die Situation und wurde VW-intern verschiedentlich diskutiert

Tatsächlich gab es schon vor dem Auffliegen des Betrugs Schwierigkeiten bei der US-Zulassung von Volkswagen-Autos. Die US-Umweltbehörden hatten die Zulassung neuer Modelle verweigert, obwohl diese schon gefertigt worden waren. Der Grund: Volkswagen konnte das Reißen von Stickoxid-Grenzwerten bei Vorgänger-Modellen nicht zufriedenstellend erklären. Im Sommer spitzte sich die Situation ausweislich etlicher mittlerweile bekannter Protokolle zu - und wurde VW-intern verschiedentlich diskutiert, etwa am 21. Juli 2015 in einem speziellen Gremium für den US-Markt, genannt Tread-Meeting. An diesem Treffen soll zwar keiner der Angeklagten teilgenommen haben. Es gibt allerdings einen Vermerk, bei dem unter Punkt 6.3 notiert ist: "Bericht über Verweigerung der Zulassung (...) in den USA". Bei Volkswagen heißt es dazu: Emissionstechnische Probleme hätten zum Tagesgeschäft gehört, weil Autos eben sehr unterschiedlich betrieben werden könnten. Insofern seien die Obersten nicht alarmiert gewesen.

Und dann ist da der sogenannte "Schadenstisch" vom 27. Juli 2015. Hier diskutierten Vorstände mit Ingenieuren aktuelle Probleme. Auf der offiziellen Tagesordnung finden sich die US-Probleme nicht, von Lenkradvibrationen beim Passat ist die Rede und Zylinderkopfrissen beim VW-Bus. Allerdings gab es im Nachgang eine offenbar kurze Besprechung von etwa zehn Minuten zu den US-Problemen, mit kleinerem Publikum, etwa zehn VW-Leute. Darunter: Martin Winterkorn sowie der amtierende VW-Chef Herbert Diess, der zu diesem Zeitpunkt erst knapp vier Wochen im Amt war. Wie deutlich dabei der willentliche Betrug und das finanzielle Risiko klargestellt wurden, ob das Wort "Defeat Device" fiel und Transparenz gegenüber den US-Behörden angemahnt wurde oder das Gegenteil, darüber gehen die Aussagen jedoch auseinander.

Die unterschiedlichen Wahrnehmungen dieses und anderer Termine soll nun das Gericht klären. Und eben auch, inwieweit Volkswagen mit einer Strafe in dieser Höhe rechnen musste. Die Staatsanwaltschaft ist der Meinung, dass hier sehr weitgehend über die Risiken gesprochen worden sei.

Herbert Diess bot an, zur Klärung in die USA zu Reisen

Im August 2015 schien eine Strafe wahrscheinlicher zu werden, weil die Gespräche mit US-Behörden schwieriger wurden - aber auch hier ist umstritten, wie viel davon an die drei Angeklagten durchdrang. Diess hatte seinen Job erst zum 1. Juli 2015 angetreten, für ihn waren die Strukturen neu und es ist nachvollziehbar, dass er keine Altlasten wollte; offenbar bot er mindestens einmal an, persönlich in die USA zu reisen, um die Situation zu klären, aber sein Einsatz wurde als nicht nötig erachtet: Man könne das auch so - ohne ihn - klären, hieß es von VW-Mitarbeitern. Dabei war bei Volkswagen bereits seit Monaten die Rede von einer Sanktion in Höhe von maximal 37 500 Dollar pro Auto. Doch bei VW wollten das die meisten offenbar nicht wahrhaben.

Andere Fahrzeughersteller oder Zulieferer waren bei anderen Fällen, etwa defekten Airbags (Takata) oder Motorabschaltungen während der Fahrt (GM), viel sanfter belangt worden. Unter Verweis auf diese Fälle dachten in Wolfsburg offenbar viele: Wenn eine Strafe kommt, dann im dreistelligen Dollar-Bereich pro Wagen. Bei etwa einer halben Million betroffener Fahrzeuge wäre man dabei unter einer Milliarde Euro geblieben - eine plausible, wobei aber nicht qua Gesetz festgelegte Schwelle. Dennoch hätten Aktionäre vielleicht vorab gewarnt werden müssen.

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