Süddeutsche Zeitung

USA:Trumps größtes Konjunkturrisiko ist Trump

Lesezeit: 4 min

Von Claus Hulverscheidt, New York

Dass Donald Trump seine Erfolge nicht gebührend feiern würde, hat ihm vermutlich noch keiner vorgeworfen, und so war mancher in Washington zu Wochenbeginn wohl schon in Deckung gegangen, um der befürchteten Twitter-Kanonade zu entgehen. Doch der Account des US-Präsidenten blieb zunächst ungewohnt stumm - kein einziger Hinweis darauf, dass die amerikanische Wirtschaft mit Beginn des Sommerquartals 2019 ein wahrlich einzigartiges Jubiläum feiern kann: zehn Jahre ununterbrochenes Wachstum, das hat es seit 1850 noch nie gegeben.

Was Trump davon abhielt, sein Smartphone zu zücken, weiß man nicht. Vielleicht aber war es politische Vorsicht, denn eine große Jubelarie hätte sich aus gleich zwei Gründen als Eigentor erweisen können. Zum einen wäre ein Feier-Tweet dem Eingeständnis gleichgekommen, dass siebeneinhalb der zehn Jahre nicht auf sein eigenes Konto gehen, sondern auf das seines Vorgängers Barack Obama. Das aber hätte die liebste Wahlkampferzählung des amtierenden Präsidenten konterkariert, wonach er 2017 ein heruntergewirtschaftetes Land übernehmen und komplett wiederaufbauen musste. Und zum anderen droht der Aufschwung gerade jetzt, im Jubiläumsjahr, zu Ende zu gehen - ein Katastrophenszenario für Trumps Wiederwahlambitionen.

Dass die Wirtschaft bald den längsten Aufschwung der US-Geschichte hinlegen würde, hätten viele Experten noch Anfang 2009 wohl kaum für möglich gehalten. Die USA steckten nach dem Zusammenbruch des Immobilienmarkts und der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers in der tiefsten Krise seit der sogenannten Großen Depression der Dreißigerjahre.

Allein im Schlussquartal 2008 schrumpfte die Wirtschaft aufs Gesamtjahr hochgerechnet um mehr als acht Prozent. Die Wende gelang nur durch einen Gewaltakt des neuen Präsidenten Obama und der Notenbank Fed: Obama schnürte ein 800 Milliarden Dollar schweres Konjunkturpaket, die Fed senkte den Leitzins auf null und begann mit dem größten Programm zum Kauf längerfristiger Staatsanleihen, das es je gegeben hat.

Anteil der Arbeitnehmer am Nationaleinkommen ging zurück

Durch die Kombination von finanz- und geldpolitischer Feuerkraft gelang es tatsächlich, die Krise zu überwinden und einen Aufschwung einzuleiten, wenn auch um den Preis dramatisch steigender Staatsschulden und einer gigantisch aufgeblähten Notenbankbilanz. Zudem zeigte sich rasch ein Phänomen, das man aus früheren Jahren bereits kannte: Wird eine Rezession durch eine Finanzkrise ausgelöst, verläuft die Konjunkturerholung viel schleppender als sonst.

So stieg die Wirtschaftsleistung während der langen Aufschwünge der Sechziger- und Neunzigerjahre um insgesamt 54 beziehungsweise 43 Prozent. Dagegen lag das Plus von Mitte 2009 bis Frühjahr 2019 nur bei mageren 22 Prozent. Zugleich ging der Anteil der Arbeitnehmer am Nationaleinkommen spürbar zurück - ein Grund dafür, dass es Trump im Wahlkampf 2016 gelingen konnte, Obama und dessen Aufschwung zu diskreditieren.

Der amtierende Präsident, der das Wachstum mit Steuersenkungen und der Lockerung zahlreicher Auflagen zunächst spürbar gesteigert hatte, muss nun aufpassen, dass das Land nicht ausgerechnet unter seiner Ägide in die Krise rutscht.

Historisch gesehen gibt es in den USA drei wesentliche Ursachen, die eine Rezession auslösen können. Da ist zunächst die Fed, die den Kampf gegen die Inflation mitunter übertreibt und die Leitzinsen so rasch und kräftig anhebt, dass sie Firmen und Verbrauchern den Weg zu bezahlbaren Krediten versperrt. Ein zweiter Auslöser können Spekulationsblasen sein, etwa an den Aktienbörsen, im Technologiesektor oder auf dem Immobilienmarkt wie 1929, 1999 und 2007. Die dritte mögliche Ursache schließlich sind sogenannte externe Schocks wie die Ölkrisen in den Siebzigerjahren.

2019 oder 2020 könnte es anders laufen: Statt einer einzelnen könnte diesmal eine Kombination aller drei Störquellen die Rezession auslösen: die acht Zinserhöhungen der Fed seit Ende 2016, die hohen Aktienkurse sowie die vielen Handelskonflikte der USA, die womöglich ähnliche Wirkung haben werden wie seinerzeit der Ölpreisschock. Dabei fällt auf, dass alle drei Faktoren eine gemeinsame Komponente aufweisen: Trump. Ohne den Präsidenten gäbe es keine Strohfeuerpolitik, keine acht Zinserhöhungen und vielleicht auch keinen Börsenboom - vor allem aber keine Handelskriege. Anders ausgedrückt: Trumps größtes Konjunkturrisiko ist Trump.

Insbesondere der Handelskonflikt ist aus Sicht vieler Experten nicht mehr nur eine Bedrohung für die Weltwirtschaft, er hat vielmehr längst tiefe Spuren hinterlassen. So ist die Stimmung der Manager und der Verbraucher in den USA in den vergangenen Monaten regelrecht eingebrochen, erstmals seit Jahren übersteigt in wichtigen Geschäftszentren des Landes die Zahl der Pessimisten die der Optimisten.

Die Investitionen sinken, das Welthandelswachstum ist praktisch zum Stillstand gekommen. Selbst wenn - was niemand weiß - der am Wochenende vereinbarte Waffenstillstand zwischen den USA und China in einen dauerhaften Handelsfrieden münden sollte, wird es nach Ansicht von Thorsten Sløk, Chefökonom der Deutschen Bank in New York, "mehrere Monate, wenn nicht Quartale dauern", bis sich die Wirtschaft von dem Schock erholt hat. "Wir unterschätzen womöglich den Schaden, den der Handelskrieg für die Investitionsplanung und die Stimmung der Unternehmen bereits angerichtet hat", so Sløk.

Ein zweites, sehr viel weniger beachtetes Konjunkturproblem ist die immense Verschuldung der amerikanischen Unternehmen, die eine wirtschaftliche Flaute rasch in einen Abgrund aus Firmenpleiten und Rezession verwandeln könnte. Auch bei Verbraucherdarlehen wächst die Zahl der Zahlungsausfälle spürbar. Das lässt die Zinsen auf Kreditkarten- und Auto-Schulden steigen und bringt damit weitere Konsumenten in Schwierigkeiten. Hinzu kommen die Aktienkurse, die gemessen an den Firmengewinnen ähnlich hoch sind wie zuletzt 1929 und 1999. In beiden Jahren kam es schließlich zum Börsencrash.

Eine Reihe positiver Konjunktursignale

Gleichzeitig verpufft der konjunkturelle Effekt der Steuerreform, zudem haben wegen des leer gefegten Arbeitsmarkts immer mehr Unternehmen im ganzen Land mit Arbeitskräftemangel zu kämpfen. Schon seit Langem warnen Experten, dass die USA viel mehr Geld in die Qualifizierung von Beschäftigten, Berufsanfängern und Schülern investieren müssten. Bildung jedoch, so hat die zuständige Ministerin Betsy DeVos dieser Tage gesagt, habe für Trump "bisher sicher nicht ganz oben auf der Prioritätenliste gestanden".

Immerhin: Neben den vielen Alarmzeichen gibt es auch eine Reihe positiver Konjunktursignale. Und überhaupt, so sagen einige Experten, zehn Jahre Aufschwung, das sei doch gar nichts - siehe Australien: Dort wächst die Wirtschaft seit 28 Jahren.

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Quelle:
SZ vom 02.07.2019
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