Süddeutsche Zeitung

Rüstung:Ukrainische Ingenieure sollen in Tschechien Waffen bauen

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Prag unterstützt Kiew seit Kriegsausbruch - inzwischen aber kommen Rüstungsfirmen nicht mehr mit der Produktion hinterher. Jetzt wollen beide Länder enger zusammenarbeiten.

Von Viktoria Großmann

Die Inflation ist hoch, das Land steht vor einer Rezession, eine Branche aber boomt gerade in Tschechien: die Rüstungsindustrie. Der Waffenhersteller Colt CZ Group zum Beispiel, zu dem auch Colt aus den USA gehört, meldete zuletzt einen Gewinnsprung um fast die Hälfte in den ersten neun Monaten, die staatliche Munitionsfirma Explosia konnte ihren Gewinn sogar mehr als verdoppeln. Gefragt sind auch die Produkte der STV Group, die von Granaten über Panzerabwehrminen bis zur Uniformen große Teile des militärischen Bedarfs abdeckt und der Czechoslovak Group, die unter anderem den Pandur und andere Pan zerfahrzeuge baut.

All die Waffenschmieden aber haben ein Problem: Sie können die Nachfrage nach Rüstungsgütern, die der russische Überfall ausgelöst hat, kaum erfüllen. Tschechien gehört zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine, das Land hat seit Kriegsausbruch Rüstungsgüter im Wert von umgerechnet mehr als 1,9 Milliarden Euro geliefert - und dabei einen großen Teil seiner Bestände der ukrainischen Armee überlassen. Die Lager müssen nun wieder gefüllt werden, der Verteidigungsetat wurde um ein Viertel erhöht. Zudem sollen im neuen Jahr bis zu 4000 ukrainische Soldaten in Tschechien ausgebildet werden.

Die Rüstungsfirmen wollen nun die Produktion ankurbeln und die Betriebe modernisieren. Hinzu kommt der Bedarf an Forschung und Entwicklung. Allein die zur Czechoslovak Group gehörende Firma Tatra brauche so 500 neue Mitarbeiter, sagte der stellvertretende Verteidigungsminister Tomáš Kopečný im tschechischen Rundfunk. Prag lädt deshalb nun Fachkräfte aus der Ukraine ein, in der heimischen Waffenproduktion mitzuarbeiten. Die Rede ist von Tausenden Jobs und gemeinsamer Produktion in tschechisch-ukrainischen Joint Ventures. Ein Teil der ukrainischen Produktion soll auch nach Tschechien verlagert werden. Kopečný geht davon aus, dass Tausende Arbeitsplätze entstehen können - für Ukrainer, aber auch für Tschechen. "Unser Land wird reicher werden", sagte er.

Ministerpräsident Petr Fiala, der in Prag eine konservativ-liberale Fünferkoalition führt, hat demnach der Arbeitserlaubnis für ukrainische Fachkräfte schon zugestimmt. Bei einem Besuch in Kiew Ende Oktober hatte Fiala darüber direkt mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij verhandelt. Etwa 20 000 Menschen sind derzeit in der tschechischen Rüstungsindustrie beschäftigt. Allein der staatliche ukrainische Konzern Ukroboronprom, mit dem man nun kooperieren will, hat laut Kopečný mehr als 100 000 Mitarbeiter.

Zudem soll mit Ukroboronprom ein "gemeinsamer Verteidigungscluster" gebildet werden, heißt es in tschechischen Medien. "Ziel ist die Erhöhung der Produktion militärischen Materials für den Bedarf der ukrainischen Streitkräfte", zitiert die Plattform Fintag.cz aus einer Antwort des Ministeriums.

Bestellungen aus den USA und den Niederlanden

Seit Jahren zieht Tschechien Arbeitsmigranten aus der Ukraine an. Sie stellen die größte Einwanderergruppe, etwa 200 000 wurden vor dem Krieg in dem Land mit knapp elf Millionen Einwohnern gezählt. Mit Ausbruch des Krieges kehrten viele Männer zwar in ihre Heimat zurück, um sich um Militärdienst zu melden - dafür suchten mehr als 460 000 Menschen in Tschechien Schutz vor dem russischen Überfall. Viele von ihnen fanden schnell Arbeit, etwa beim Autohersteller Škoda. Der fand schon im Frühjahr eine kreative Lösung, um Fachkräftemangel und Lieferkettenproblemen zu begegnen und gleichzeitig zu helfen: Man verlegte einen Zulieferbetrieb für Kabelbäume kurzerhand komplett aus der Westukraine ins tschechische Mladá Boleslav.

So ähnlich soll es nun wohl auch mit der militärischen Produktion laufen. Bestellt werden die Rüstungsgüter laut Kopečný etwa von Großbritannien, den Niederlanden, den USA und Norwegen sowie aus der Ukraine selbst, sowohl staatlicherseits wie von privaten Geldgebern.

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