Süddeutsche Zeitung

Tierquälerei in der Lebensmittelbranche:"Fleisch ist kein Pullover"

Lesezeit: 6 min

Fleisch kommt von Lebewesen aus Massentierhaltung - und denen geht es meistens schlecht. Tierschutzbund-Präsident Thomas Schröder plädiert im SZ-Interview für Verzicht. Aber mehr als den Verbraucher sieht er andere in der Pflicht.

Silvia Liebrich und Viktoria Großmann

Als Präsident des Deutschen Tierschutzbundes führt Thomas Schröder, 47, heftige Debatten. So auch vor kurzem beim Bauerntag in Fürstenfeldbruck. Der Saal, in dem er mit Viehhaltern und Landwirten über die brutalen Seiten der Massentierhaltung diskutiert, ist völlig überfüllt. Es ist eine Runde, in der er mit seiner Forderung nach mehr Tierschutz auf heftigen Widerspruch stößt. Schröder mag solche Termine, sie sind eine Herausforderung. "Ich kämpfe für eine Überzeugung, die ich mit Wissenschaft belegen kann, deshalb macht mich das nicht bange", sagt er.

SZ: Herr Schröder, Dackel und Kätzchen werden gehätschelt, aber die Sau wird nur als Billigkotelett im Supermarkt wahrgenommen. Was läuft da schief?

Schröder: So einiges. Das liegt daran, dass Nutztiere hinter Stallmauern gehalten werden und weitgehend aus unserem Blickfeld verschwunden sind. Wenn aber eine Sau in einem Verschlag gehalten wird, der etwa so groß ist wie ein Bügelbrett, dann tut das dem Tier nicht gut. Trotzdem wird es gemacht, und das wirkt sich auf den Preis aus. Seit Jahren diskutieren wir mit Aldi, Lidl und anderen Händlern, dass man Fleisch eben nicht wie Billigpullover einkaufen kann. Hier geht es um Lebewesen.

Warum setzen Sie sich für Tiere ein?

Das beschäftigt mich seit meiner Kindheit. Ich komme aus dem Gebiet der Wesermarsch in Niedersachsen. Das ist die Gegend mit der größten Dichte an Rindviechern in ganz Deutschland. Ich habe mich schon früh politisch engagiert - und da landet man in dieser Region immer bei der Frage, welcher Stall wird wo und in welcher Größe gebaut.

Essen Sie selbst noch Fleisch?

Ja, aber relativ wenig - und auch nur dann, wenn ich weiß, woher es kommt. Ich habe mich irgendwann gefragt, ob ich tatsächlich jeden Tag Fleisch essen muss und bin zum Ergebnis gekommen: Nein.

Sollten wir alle weniger Fleisch essen?

Sicher. Um gesund zu leben, braucht man nicht jeden Tag Fleisch. Weniger zu essen, ist der einzige Weg, die Tierhaltung zu verändern und das Problem der Welternährung zu lösen. Es darf nicht sein, dass in Südamerika Monokulturen angelegt werden, um Sojafutter für Rinder, Schweine und Hühner in Europa zu beschaffen.

Wie wollen Sie begreiflich machen, dass Verzicht notwendig ist?

Diktieren lässt sich das nicht. Aber mit Aufklärung kann man viel erreichen. Indem man etwa informiert, wie Tiere gehalten und geschlachtet werden und wie weit sie dafür durch die Welt transportiert werden.

Verurteilen Sie die Massentierhaltung grundsätzlich?

Der Begriff Massentierhaltung gefällt mir nicht. Er trifft nicht den Kern der Debatte, die wir führen müssen: Intensivtierhaltung passt besser. An der Menge allein lässt sich Tierschutz nicht festmachen. Fünf Rinder können schlimmer gehalten werden als 20. Das habe ich als Kind gesehen.

Es gibt also keine Obergrenze?

Doch, aber die lässt sich nicht an einer Zahl festmachen. Das hängt von den Rahmenbedingungen ab. Tiere werden gehalten, um sie im industriellen Maßstab zu nutzen - maximaler Ertrag bei möglichst geringem Einsatz. Sie werden so stark ausgebeutet, dass sie leiden und kaum noch allein lebensfähig sind. Zum Beispiel hat eine Kuh früher 20 Jahre lang Milch gegeben. Heute lebt eine Turbomilchkuh im Schnitt nur 4,7 Jahre, bevor sie zum Schlachter kommt.

Sind wir Konsumenten selbst schuld an der Qual der Tiere, weil wir billiges Fleisch und billige Milch kaufen wollen?

Das weise ich entschieden zurück. Die Aussage halte ich für ein Ablenkungsmanöver der Erzeuger. Jeder im System trägt eine Verantwortung, der Landwirt, der die Tiere hält, trägt einen großen Anteil. Dann kommt der Handel mit seiner Werbung, die dem Verbraucher eine heile Welt vorgaukelt, die es gar nicht gibt. Erst dann kommt der Verbraucher, der kaum erkennen kann, was er da kauft.

Wie kann das sein? Seit 2002 ist der Tierschutz sogar im Grundgesetz verankert.

Das hat gar nichts gebracht. Die gesetzliche Lage hat sich seitdem überhaupt nicht verändert, auch für Nutztiere nicht. Die zuständige Bundesministerin Ilse Aigner macht auch keinerlei Anstalten, das Tierschutzgesetz zu novellieren. Im Gegenteil: Sie schreibt den Nutzen der Tiere weiter fest, und richtet so noch mehr Schaden an.

Zum Beispiel?

Nehmen wir die Kastration von Ferkeln ohne Betäubung. Die soll nach dem Willen von Frau Aigner von 2017 an verboten sein. Warum erst 2017? Es gibt keinen Grund, so lange zu warten. Es gibt heute schon erprobte Methoden, um Ferkel zu betäuben. Doch bis es soweit ist, werden vermutlich noch 100 Millionen Tiere gequält. Das ist ein Fußtritt für den Tierschutz.

Warum müssen Ferkel überhaupt kastriert werden?

Angeblich will es der Verbraucher so, weil er kein Fleisch mit Ebergeschmack mag. Aber uns geht es nicht in erster Linie um den Geschmack, sondern um das Leid der Tiere. Die werden in die Systeme hineinmanipuliert, passend zurechtgestutzt.

Schweine werden also gequält, damit sie leichter zu halten sind?

Ja, und die Kastration ist nur ein Teil davon. Den Ferkeln wird der Schwanz abgekniffen, damit sie ihn sich nicht gegenseitig abbeißen. Man schleift ihre Eckzähne ab, damit sie sich nicht verletzen. All das wäre nicht notwendig, wenn man den Tieren mehr Platz in einer artgerechten Umgebung lassen würde.

Das Problem fängt bei der Zucht an

Es gibt keinerlei Kriterien, was Qualzucht überhaupt ist und wo sie anfängt. Woher soll also ein für die Kontrolle zuständiger Veterinär wissen, wann er gesetzlich gesichert eingreifen muss? Eine leistungsstarke Sau wirft heute 20 bis 24 Ferkel. So viel Nachwuchs kann die Mutter aber nicht säugen, weil sie nur 14 Zitzen hat. Deshalb nimmt der Bauer einen Teil der Ferkel weg. Man hat also in der Zucht auf Menge gesetzt, ohne über die Folgen nachzudenken. Eine Sau, die mehr Ferkel bekommt, als sie aufziehen kann, ist per se Qualzucht.

Auch Geflügel ist stark überzüchtet.

Das gilt nicht nur für Hühnchen, Legehennen und Puten. Bilder aus einer Enten-Haltung belegen, dass sich die Tiere zuchtbedingt nicht mehr allein aufrichten können. Puten können kaum noch laufen, weil sie zu viel Brustfleisch ansetzen. Hühner in großen Mastanlagen brauchen Antibiotika, damit sie überleben, bis sie schlachtreif sind. Lungenleiden und andere Krankheiten entstehen, weil zu viele Tiere auf engstem Raum im eigenen Dreck sitzen. Hier geht es um die Systemfrage.

Warum wird dieses System einfach so hingenommen?

Die Entfremdung zwischen Verbrauchern und Erzeugern ist groß. Viele Menschen wissen fast nichts mehr über Tierhaltung. Auf den Produkten muss deshalb deutlich gekennzeichnet sein, woher das Tier kommt und wie es gehalten wurde. Das ist aber nicht der Fall. Stattdessen gibt es Bilder von glücklichen Kühe auf Bergweiden. Mit der Realität hat das nichts zu tun.

Werbung mit beschönigenden Bildern ist nicht verboten.

Es ist aber auch nicht alles erlaubt. Der Tierschutzbund hat die Molkerei Weihenstephan vor einigen Jahren dazu gezwungen, die Werbung zu ändern. Das Unternehmen hat auf seine Verpackungen geschrieben, die Milch stamme aus artgerechter Tierhaltung. Wir haben festgestellt, dass die Milch aus Ställen kam, in denen die Kühe angebunden waren. Mit Kühen auf grünen Wiesen wirbt Weihenstephan immer noch, jeden Morgen im Frühstücksfernsehen.

Sie meinen: Der Betrug geht weiter?

Das ist irreführend, Verbraucher werden suggestiv fehlgeleitet. Doch dagegen kann man kaum vorgehen. Dafür müsste sich Frau Aigner einsetzen, aber sie tut es nicht. Die Aufklärungsarbeit muss heute schon in der Schule beginnen, damit Kinder lernen, die richtigen Fragen zu stellen.

Was können Verbraucher tun, wenn sie Produkte aus artgerechter Haltung kaufen wollen? Gibt es verlässliche Siegel?

Zwar gibt es seit Ende der achtziger Jahre das Neuland-Siegel, das der Tierschutzbund und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft entwickelt haben. Es hat sich aber nicht durchgesetzt. Neuland- und Biofleisch sind Nischenprodukte mit einem Marktanteil von unter einem Prozent. Das wollen wir ändern. Der Tierschutzbund arbeitet gerade an einem Label, das hoffentlich im nächsten Jahr in Supermärkten zu finden sein wird.

Wofür steht das Siegel?

Ideen für Tierschutzlabel gibt es auch in der Industrie längst. Dem müssen wir etwas entgegensetzen, weil wir mit Etikettenschwindel rechnen müssen. Nehmen wir die "Aktion Tierwohl", angestoßen vom Fleischkonzern Westfleisch. Das Zeichen garantiert zwar, dass Schweine nur mit Betäubung kastriert werden, Verbesserungen in der Haltung schreibt es aber nicht vor. Das ist für uns kein Tierschutzlabel.

Der Tierschutzbund kann das besser?

Ja, wir arbeiten an einem Modell für Hähnchen und Schweine. Da erstellen wir bis Jahresende die Zertifizierung. Andere Tierarten sollen folgen. Die Bundesregierung hat leider ein deutsches Tierschutzsiegel vor kurzem abgelehnt. Das ist bedauerlich. Aber wir schaffen das auch so.

Wer kontrolliert Ihr Tierschutz-Siegel?

Zum einen der Deutsche Tierschutzbund. Wir arbeiten dabei aber auch mit einem unabhängigen Zertifizierungsinstitut zusammen. Der Kontrollmechanismus ähnelt dem in der Biobranche.

Sie müssen dafür mit der Industrie zusammenarbeiten. Der Umweltschutzorganisation WWF hat dies große Kritik eingebracht. Ihnen könnte Ähnliches passieren.

Das ist ein mit Risiken behafteter Prozess, auch für uns als Tierschutzbund, weil wir mit unserem Ruf dafür einstehen. Aber wir können nicht immer nur protestieren. Mit Bildern über Qualhaltung kann man Schlagzeilen machen - aber für die Tiere ändert sich damit noch nichts. Wir müssen dafür kämpfen, das System zu verändern. Eine Untersuchung im Auftrag des Verbraucherministeriums zeigt, dass 20 Prozent der Verbraucher beim Einkauf auf ein Tierschutzlabel achten würden.

Wird Fleisch durch Tierschutz teurer?

Ja. Verbraucher müssen sich darauf einstellen. Tierschutz kostet Geld und darf nicht allein durch den Landwirt bezahlt werden.

Mehr Tierschutz bedeutet höhere Produktionskosten. Gefährdet das die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produzenten auf dem Weltmarkt?

Das ist Quatsch. Ich halte es für völlig aussichtslos, wenn deutsche Fleischproduzenten mit Billigware im globalisierten Handel mithalten wollen. Das entscheidende Kriterium ist Qualität. Mehr Gerechtigkeit für die Tiere kann ein Wettbewerbsvorteil sein. Die deutschen Legehennenhalter haben das zu spät erkannt und halten immer noch an Käfigen fest. Ausländische Konkurrenten haben flexibler reagiert und die Boden- und Freilandhaltung ausgebaut. Die Deutschen haben den Anschluss verpasst.

Linktipp: Schröder beantwortet in diesem Artikel weitere Fragen, die SZ-Leser ihm stellen wollten: Ist es auch sinnvoll, Produkte aus der Region zu kaufen?

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1415048
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.07.2012
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.