Süddeutsche Zeitung

Automobilindustrie:Die neue Strategie zeigt Teslas Not

Lesezeit: 4 min

Von Max Hägler, Christina Müller und Veronika Wulf

Das Geschäft scheint einigermaßen zu laufen an diesem Freitagmittag beim Tesla-Händler in der Münchner Innenstadt. Drinnen steht ein Pärchen und lässt sich ein weißes Model 3 vorführen, draußen geben sich Probefahrer die Klinke in die Hand. Doch wie lang das hier noch möglich sein wird, wissen nicht einmal die Verkäufer. Denn Tesla kündigte in der Nacht zu Freitag an, seine Autohäuser dicht zu machen und die Elektrofahrzeuge künftig nur noch online zu vertreiben. Man brauche nur noch "1 Minute", um das neue Model 3 im Netz zu kaufen, twitterte Tesla-Chef Elon Musk am Donnerstag.

Das hängt mit der zweiten Neuigkeit zusammen, die der Autobauer bekannt gab: Die Basis-Ausführung des neuen Model 3 kostet jetzt nur noch 35 000 US-Dollar. Damit löst Musk ein langjähriges Versprechen ein; diesen Preis hatte er bereits 2016 angekündigt. Das vergleichsweise erschwingliche Modell ist der Hoffnungsträger des Autoherstellers, der Mittelklassewagen sollte die breiten Massen in die Elektroautos locken. Das Modell kam dann im Juli 2017 jedoch als teurere Version auf den Markt, für mindestens 43 000 Dollar.

Im Tesla-Store in München steht noch die teurere Version des Model 3. In spätestens sechs Monaten soll der neue Einstiegs-Tesla, der eine kleinere Batterie mit einer Reichweite von 220 Meilen hat, auch in Europa erhältlich sein. Rechnet man Zölle und Steuern ein, dürfte das günstigste Modell in Deutschland bei etwa 40 000 Euro liegen - abzüglich der Umweltprämie von 4000 Euro. Kein anderer Hersteller wird zu diesem Zeitpunkt in der Lage sein, seinen Kunden hier ein vergleichbares Angebot zu machen. Die ersten Elektroautos von Audi und Mercedes liegen im Premiumsegment und kosten daher mindestens etwa 70 000 Euro.

Musk hatte erst im Januar angekündigt, 3000 Stellen streichen zu wollen

Man könnte also denken: Tesla fährt allen anderen in Sachen Zukunft mal wieder davon. Tatsächlich aber zeugt der Vorstoß von der Not des Unternehmens und er kommt nicht ganz freiwillig. Denn der Auto-Online-Shop ist vor allem ein Mittel, um die Preissenkungen von durchschnittlich sechs Prozent zu finanzieren, die wiederum den Absatz steigern sollen. Durch die Schließung aller Verkaufsstellen spart Tesla Mieten und Personal ein. Wie viele weitere Jobs wegfallen, wollte Musk, der erst im Januar mitteilte, 3000 Stellen zu streichen, nicht verraten.

Außerdem verkündet er die neue Strategie genau einen Tag, bevor eine Anleihe von 920 Millionen Dollar fällig wird. Keine kleine Summe für das Unternehmen, das vergangenes Jahr mit Reserven von 3,7 Milliarden Dollar und Verbindlichkeiten von fünf Milliarden Dollar abschloss. Hinzu kommen zehn Milliarden Dollar langfristige Schulden. Zudem sagte Musk, er rechne im ersten Vierteljahr 2019 nicht mit einem Gewinn und im zweiten Quartal sei ein Plus nur "wahrscheinlich". Dabei sollte das Model 3 endlich Geld in die Kassen spülen - was es auch kurz tat, jedoch nicht im erwarteten Ausmaß. Tesla hatte im dritten Quartal vergangenen Jahres dank der effizienteren Model-3-Produktion zum ersten Mal seit langem Gewinn gemacht. Doch unter dem Strich ist der Elektroautohersteller noch weit davon entfernt, profitabel zu sein. Nach Musks Ankündigung sackte der Kurs der Tesla-Aktie an der New Yorker Börse um acht Prozent ab.

Das schert viele Kunden nicht. Sie bestellen bei Tesla unter Bedingungen, die an Trabi-Zeiten erinnern: Als das Model 3 auf den Markt kam, gab es 325 000 Vorbestellungen innerhalb einer Woche. Die Kunden leisteten eine Anzahlung von mehreren tausend Euro. Und das, obwohl sie nicht einmal wussten, wann sie ihr Auto bekommen. Einige dieser Käufer aus Europa warten immer noch auf die Auslieferung ihres Wagens.

Etablierte Händler denken über Zukunft ohne klassiche Filialen nach

In Zukunft werden Interessenten einen Tesla vor dem Kauf wohl nicht einmal mehr Probe fahren können. Nur einen Teil der weltweit 378 Niederlassungen wird Tesla in Innenstädten als Ausstellungsräume behalten, sodass man die Elektroautos zumindest anschauen und probesitzen kann. Die Service-Center von Tesla sollen ausgebaut werden. In Deutschland gibt es aktuell zwölf Tesla-Händler und sieben Service-Stellen. Auch hier wird die Anzahl der Autohäuser vermutlich sinken, heißt es von dem Autobauer. Es werde aber weiterhin Niederlassungen geben. Gleichzeitig passt Tesla sein Rückgaberecht an: Innerhalb einer Woche können Kunden ihren Tesla zurückgeben, sofern sie nicht mehr als etwa 1600 Kilometer damit gefahren sind. Sie bekommen dann den vollen Preis erstattet. Der Autobauer wirbt sogar damit, dass Kunden sich den Wagen für einen Wochenendtrip mit Freunden ausleihen und anschließend wieder zurückgeben können.

Auch bei den etablierten Autoherstellern setzt sich langsam die Einsicht durch, dass Online-Direktvertrieb ohne Händler ein Zukunftsgeschäft sein könnte. Volvo hat beispielsweise ein Abo-Modell aufgelegt, bei dem die Kunden online direkt beim Hersteller ein Auto ordern können. Volvo wirbt damit, dass sich jeder sein neues Fahrzeug direkt vom Sofa aus leihen kann. Das deckt sich mit Studien, denen zufolge sich mehr als die Hälfte der Befragten vorstellen kann, ihr nächstes Auto online zu kaufen.

Ob sie das tatsächlich tun, bezweifelt Stefan Reindl, Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Geislingen. "Für den europäischen Markt ist das womöglich zu früh", sagt er mit Blick auf die Online-Offensive von Tesla. "Kunden beschäftigen sich hier sehr lange und intensiv mit einem Autokauf und möchten persönlichen Kontakt haben, zum Beispiel bei der Beratung und vor Probefahrten." So sehen das auch die Verkäufer im Münchner Tesla-Store. Gerade in einer Stadt mit so viel Konkurrenz von anderen Herstellern müsse man präsent sein. Das dort ausgestellte weiße Model 3 ist noch nicht die neue Basis-Variante. Doch auch das bisher erhältliche Modell ist quasi über Nacht 3000 Euro günstiger geworden und kostet nun 52 300 Euro.

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Quelle:
SZ vom 02.03.2019
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