Süddeutsche Zeitung

Werbespots beim Super Bowl:Gestresste Autofahrerin statt Sexsymbol

Lesezeit: 4 min

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Der Dude! Seine Dudeheit, oder auch: El Duderino, falls einem das mit den Kurznamen nicht so liegt. Jeffrey Lebowski, der Protagonist aus dem unvergessenen Film "The Big Lebowski", ist in einem neuen Video zu sehen, Darsteller Jeff Bridges hat es höchstselbst auf seinem Twitter-Account eingestellt, und natürlich sorgte die Aussicht auf ein neues Abenteuer mit dem bowlenden, stets bekifften und White Russian schlürfenden Gammler aus Los Angeles für Verzückung bei all jenen, die das Leben gerne ein bisschen lockerer nehmen - bis am Ende des Videos das vermeintliche Startdatum des neuen Films zu sehen war: 3. Februar.

Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee, an diesem Tag einen Film in die US-Kinos zu bringen, an diesem Tag werden mehr als 110 Millionen Amerikaner vor dem Fernseher sitzen. Sie wollen den Super Bowl sehen, das Endspiel der Footballliga NFL zwischen den Los Angeles Rams und den New England Patriots, doch viele schalten auch wegen der meist spektakulären Halbzeit-Show ( Maroon 5 mit den Gästen Big Boi und Travis Scott) ein, und auch gar nicht mal so wenige wegen der Reklame. Der Wahnsinn um die Werbefilme geht mittlerweile so weit, dass, und das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, schon Tage vor dem Super Bowl Werbefilme für die Werbefilme gezeigt werden.

Es gab also zunächst diesen 15-Sekunden-Trailer, in dem der Dude in Jogginghosen und Strickjacke zu "The Man in Me" von Bob Dylan eine Bar betritt, er dreht sich zur Kamera und lächelt über die nach unten gerutschte Sonnenbrille hinweg, während draußen ein Heuballen die Straße hinunterweht. Niemand wusste zunächst, wofür da geworben wird, es hätte für White Russian sein können, für Marihuana oder auch für einen Teppich, der das Zimmer erst so richtig gemütlich macht.

Für eine Minute Werbung geben die Firmen bis zu 20 Millionen Dollar aus

Ein paar Tage später folgte ein längerer Spot und damit die Auflösung: Carrie Bradshaw, Protagonistin von "Sex and the City" und damit noch so eine Ikone der 1990er, betritt zur Melodie der TV-Serie eine Bar. Sie bestellt jedoch nicht ihren Lieblingscocktail Cosmopolitan, sondern ein belgisches Bier. Danach kommt der Dude, und er möchte eben keinen White Russian, sondern ebenfalls dieses Bier, dessen Brauerei auch damit wirbt, Teile der Erlöse an die Hilfsorganisation "Pour it Forward" weiterzuleiten. Gut möglich, dass es am kommenden Sonntag noch eine andere oder längere Version gibt.

Super-Bowl-Werbung ist zu einem popkulturellen Phänomen geworden, seit Apple im Januar 1984 seinen Computer Macintosh 128K mit dem Kurzfilm "1984" des Regisseurs Ridley Scott beworben hat. Die einminütige Hommage an den gleichnamigen Roman von George Orwell gilt als einer der besten Reklamefilme der Geschichte und aufgrund des immensen Erfolgs - das Unternehmen nahm in den drei Monaten nach dem Spiel mehr als 150 Millionen Dollar ein - als Beweis dafür, dass es sich lohnt, die immensen Ausgaben zu stemmen: Die Produktionskosten von "1984" lagen damals bei 370 000 Dollar, der TV-Sender ABC verlangte 1,05 Millionen Dollar für eine Minute Werbezeit.

So günstig gibt es das heutzutage freilich nicht mehr: Der Sender CBS hat, je nach Zeitpunkt im Spiel, zwischen 10,2 und 10,6 Millionen Dollar pro Werbeminute ausgerufen. Die Produktionskosten für einen Super-Bowl-Werbespot liegen laut Forbes bei durchschnittlich mehr als zwei Millionen Dollar pro Minute - wer Promis wie in diesem Jahr zum Beispiel Jeff Bridges, die Rapperin Cardi B, die Popgruppe Backstreet Boys, die Schauspielerinnen Christina Applegate und Zoë Kravitz oder den Sänger Michael Bublé engagiert, der kann auch schnell mal fünf Millionen Dollar bezahlen. Dazu kommt die Werbekampagne für den Werbefilm, die laut Mary Scott von der Marketingagentur United Entertainment Group je nach Aufwand bei etwa 25 Prozent der Produktionskosten liegen dürfte. Zusammengerechnet kann es ein Unternehmen also 20 Millionen Dollar kosten, eine Minute lang in der Spielpause des Super Bowl aufzutauchen. Das muss sich irgendwie rechnen.

Besser ein schlechter Spot - als später gar nicht mehr erwähnt zu werden

Die Filme sollen deshalb ein Festival der Kreativität sein, es geht schließlich darum aufzufallen, um jeden Preis - immer noch besser, als schlechteste Werbung des Jahres gekürt zu werden, als auf den Listen danach irgendwo im Nirgendwo aufzutauchen. Natürlich möchte jeder gerne einen Film präsentieren, über den die Leute noch Jahre später sprechen, die Softdrink-Werbung mit Cindy Crawford im Jahr 1992 zum Beispiel, den Spot über desillusionierte Kinder von einem Jobvermittler im Jahr 1999 oder das Kind im Darth-Vader-Kostüm vor acht Jahren, das seine vermeintlich übernatürlichen Kräfte dazu nutzt, einen VW starten zu lassen.

Es wird in diesem Jahr wieder der übliche Werbe-Dreiklang aus Autos, Snacks und Getränken dominieren, und natürlich werden auch wieder jede Menge süßer Tiere vorkommen, allerdings legen die Werbetreibenden ihren Fokus diesmal nicht auf den männlichen Footballfan. Knapp die Hälfte der Super-Bowl-Zuschauer sind weiblich, und dieser Entwicklung wird nun verstärkt Rechnung getragen, nach dem Vorbild der legendären Anti-Sexismus-Werbung "Throw Like a Girl" von Always aus dem Jahr 2015. Es wird Werbung für Gesichtspflege mit der Schauspielerin Sarah Michelle Gellar geben, Christina Applegate wird in einer Reklame für Schokolinsen zu sehen sein - nicht als Sexsymbol, sondern als gestresste Autofahrerin.

Die Dating-App Bumble wird den ausschließlich von Frauen produzierten Film "In Her Court" zeigen, und die Tennisspielerin Serena Williams sagt, bevor sie einen Aufschlag übers Netz donnert: "Wir leben in einer Welt, in der die Leute die Dinge endlich anders wahrnehmen. Wir sind genauso stark, genauso schlau, genauso ausgebufft und genauso geschäftstüchtig wie jeder Mann. Es ist nun an der Zeit, das zu zeigen und unsere eigene Geschichte zu schreiben."

Das führt zurück zu dieser Werbung, die "Change Up the Usual" heißt und in der Carrie Bradshaw ein Bierchen mit dem Dude trinkt. Der zweite Trend nämlich ist Werbung für eine gute Sache - oder eher für ein Unternehmen, das irgendwie die Welt retten will, in diesem Fall: Saufen für sauberes Wasser. Darüber wollen sich die beiden Schauspieler auch vom Vorwurf lossprechen, ihre legendären Figuren für Bierwerbung zu missbrauchen. Dass die Leute nun wild darüber debattieren, ob sich die New Yorker Szenefrau Bradshaw und der Westküsten-Slacker Lebowski tatsächlich jemals in einer Bar treffen würden oder ob das nicht doch ein eher schrecklicher Reklamefilm ist, das kann die Werbetreibenden mehr freuen denn ärgern. Es geht um größtmögliche Aufmerksamkeit, und die hat der belgische Bierbrauer schon vor dem großen Spiel erreicht.

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Quelle:
SZ vom 31.01.2019
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